Die Plantage: Roman (German Edition)
Hereinkommen bemerkte William zwei Männer, die er auch im Abendanzug als Militärs erkannte. Er blieb in ihrer Nähe stehen, und während er Ronnie mit stoischer Miene zutrank, entnahm er beiläufig ihrer Unterhaltung, dass sie dem Stab von General Malvern angehörten, der die Aufsicht über die Arsenale innehatte. Die beiden Offiziere sprachen über eine Waffenlieferung, die offenbar noch am selben Abend mit Roscoe verhandelt würde. Wie Merryman vorausgesagt hatte, sollten die Waffen mit den Schiffen der Starline Company nach Amerika gebracht werden. Die beiden Männer warteten noch auf den verantwortlichen Verbindungsoffizier, der für Malvern die Verhandlung mit Roscoe führen sollte.
Korruption an höchster Stelle, wie William vermutet hatte. Seine Ernüchterung war vollkommen, als der Name von Roscoes Verhandlungspartner fiel: Major Earnshaw! Seit Bruce Earnshaw ihm Persephone weggenommen hatte, war er fürihn als Freund erledigt. Doch sie hatten einmal derselben Sache gedient, mit demselben vaterländischen Stolz. Dass Earnshaw nun geschäftsmäßig Waffen aus Armeebeständen abzweigte und sich mit Kriminellen wie Oliver Roscoe gemeinsam am illegalen Waffenhandel bereicherte, war erbärmlich.
William hatte genug gehört. Er ging mit Ronnie zu den Faro-Spielern, die, völlig gebannt vom Fall der Würfel, sie nicht weiter beachteten. Ronnie wirkte besorgt; mit Williams Pistole in der Tasche fühlte er sich verpflichtet, ihm notfalls beizustehen.
»Wie soll es nun weitergehen, Mr. Marshall?«
»Ehrlich gesagt, mein Freund, ich weiß es nicht. Wieso hat sich Roscoe noch nicht gezeigt?«
»Er nimmt’s in punkto Höflichkeit nicht so genau. Bei manchen Parties habe ich ihn überhaupt nicht zu Gesicht gekriegt. Kennen Sie ihn näher?«
»Zu nah! Er wird kaum erfreut sein, mich wiederzusehen. Ich möchte das Überraschungsmoment nutzen und ihn direkt vor seinen Gästen auffordern, meinen Diener freizulassen.«
»Sie wollen ihn überrumpeln?«
»Natürlich. Darin liegt oft der Erfolg.«
Um die Anspannung zu lösen, lenkte er ihr Augenmerk auf ein Gelage, das vor dem Höllenkamin aufgebaut war: »Sehen Sie sich diese Dekadenz an!« Ein Dutzend Ruhebetten waren in einem Kreis angeordnet und üppig mit Polstern und Kissen dekoriert; auf niedrigen Taburetten standen Weinkaraffen und Obstschalen. Frauen und Männer im Zustand fortschreitender Gelöstheit amüsierten sich bei einem pikanten Gesellschaftsspiel, aßen und tranken dazu, scherzten miteinander, küssten und liebkosten sich ungeniert. »Nun, Ronnie, fällt Ihnen dazu was ein?«
»Ich habe Hunger!«
»Das wäre mein zweiter Gedanke gewesen«, gestand William. »Vielleicht möchten Sie auch im Liegen speisen?«
Auf Ronnies abwehrende Geste hin setzten sie sich an die lange Tafel. Sofort wurden ihnen allerlei delikate Speisen vorgelegt. Eine junge Frau, die sich als Schauspielerin der Royal Comedy ausgab, hatte an Ronnie sichtlich Gefallen gefunden. Während die beiden anbändelten, sah William sich um und verschaffte sich einen Überblick über die Gesellschaft im Saal. Einmal hob er den Blick zu dem Altan, der eine Stirnseite des Saales in luftiger Höhe überspannte. Zwei Männer standen dort, der Montur nach Deckoffiziere eines Handelsschiffes. Spontan dachte er an Leibwächter. Dass die beiden seinetwegen dort standen, bedachte er nicht.
Außer dem Ticken einer Uhr war in dem holzgetäfelten Raum nur gelegentliches Seitenumblättern zu hören. An einem wuchtigen Tisch, einen aufgeschlagenen Folioblock in Händen, saß Oliver Roscoe. Er ignorierte seine Gäste, ein Mann und eine Frau in Abendgarderobe, die ihm gegenüber in unbequemen Stühlen Platz genommen hatten.
Der Mann, ein farbloser Enddreißiger, übte sich in Geduld. Die Frau langweilte sich demonstrativ. Sie hielt die Arme verschränkt und bog den langen Hals zurück, damit die aufgetürmte, zimtfarbene Perücke ihr klassisches Profil zur Geltung brachte.
Persephone Hunter war es gewohnt, im Mittelpunkt galanter Aufmerksamkeit zu stehen. Nun aber ließ man sie die halbe Nacht in der Kanzlei des Palais DuBreille warten, bis irgendwelche unsäglichen Geschäfte zum Abschluss kamen! Warum nur hatte sie eingewilligt, Bruce hierher zu begleiten? Nach der Begegnung mit William hatte sie nicht vorgehabt, heute die Wohnung überhaupt zu verlassen. Bruce Earnshaw hatte immer wieder bei ihr vorgesprochen, bis sie dann am Abend in der Lage war, ihn zu empfangen. Da es ihm sehr wichtig zu sein
Weitere Kostenlose Bücher