Die Plantage: Roman (German Edition)
zwischen anrennenden Wellenbergen. Von Luv kamen immer neue schwarzblaue Wogen, stiegen wie glasige Wände neben dem Schiff auf und schienen für wenige Sekunden zu verharren, ehe sie sich zu einer kalten Umarmung beugten und ihre Wassermassen auf das Deck stürzten.
Ein Mann stand mit einem Tau gesichert auf dem Achterdeck. Im schwarzen Bootsmantel, den Kragen übers Kinn hoch geschlossen, stemmte er sich gegen die Heckgalerie. Seine Hände wurden vom kalten Salzwasser wund, indem er das Geländer umklammert hielt und mit breitem Stand die Bewegung des Schiffs abfing. Hereinbrechende Seen gingen auf ihn nieder, als wollten sie ihm die Knochen zerschlagen. Doch er würde die Brücke nicht verlassen, um unter Deck Schutz zu suchen. Entschlossen, den Sturm bis zum Ende durchzustehen, verlangte er nichts als ein Tau zur letzten Rettung, falls ihn die Kräfte verließen.
Der Mann musste verrückt sein!
Das Wasser fand den Weg überallhin, in die Offizierskammern, in die Quartiere der Besatzung vor dem Mast. Abwechselnd standen zwei Mann an der Lenzpumpe, der Pegel in der Bilge stieg beunruhigend schnell. Um dem Sturm die Angriffsfläche zu nehmen, wurden Segel aufgeholt und die Fahrt mitzwei Vorsegeln und dem Besansegel stabilisiert. Zum Reffen der oberen Segel mussten die Matrosen aufentern ins Rigg. Dort oben rissen die Bewegungen des Schiffs sie von Backbord nach Steuerbord, auf und ab mit dem wüsten Seegang. Auf den Rahen im brausenden Wind konnten sie die Befehle des Maats nur erahnen, der Sturm überbrüllte jeden menschlichen Laut. Der Kapitän gemahnte seine Leute an ihre Zuversicht. Jeder gab sein Bestes, während der Orkan stärker wurde und die See sich wütend aufbäumte.
Als ein Brecher die Tristar von achtern bis mittschiffs überflutete, fühlte der Mann sich wie von eisiger Faust gepackt und auf die Knie geworfen. Er schrie auf, brüllte vor Zorn, erstickte fast am zurückflutenden Wasser, das seinen Schrei ertränkte. Salzwasser auswürgend kämpfte er sich hoch, zog sich wieder auf die Füße. Er keuchte vor Anstrengung, als er sich erneut dem Sturm darbot.
Warum tat er das? Was hielt ihn davon ab, dem gesunden Menschenverstand zu folgen und sich allerspätestens jetzt in Sicherheit zu bringen? Wozu setzte er sein Leben mutwillig aufs Spiel? Nun, er war ein Spieler! Im Vertrauen auf sein Glück nahm er jedes Risiko in Kauf; so hatte er immer gelebt, und nur so hatte er überlebt. Er konnte sich nicht erinnern, dass man je auf ihn Rücksicht genommen hätte, darum tat er es auch nicht. Weil er nie gelernt hatte, vorsichtig zu sein, betrachtete er sein Leben als riskanten Zeitvertreib. Und wer im Spiel bleiben wollte, musste bereit sein, bei jedem Einsatz mitzugehen. Jung an Jahren, war er schon an einen Punkt gelangt, da das Leben für ihn nur in höchster Gefahr einen Sinn bekam. Spielen war alles und alles ein Spiel, also setzte er sein Leben. Was wäre faszinierender, als um den höchsten Einsatz zu spielen!
Im ungewöhnlich heißen Frühling 1757 wurde Miguel Olivero Ruizco Martinez de Avilés als letzter Abkömmling kreolischer Aristokraten in Spanisch-Florida geboren. Seine Vorfahrenstammten aus Kastilien, Ramon Rodriguez Martinez de Avilés kam Anfang des sechzehnten Jahrhunderts mit einer Expedition von Abenteurern und Goldsuchern nach Nordamerika. Sein Sohn Hernan beteiligte sich im Jahre 1565 an Menéndez’ Vernichtungsfeldzug gegen die Hugenotten und erhielt von der spanischen Krone in Anerkennung seiner Verdienste einen Adelstitel und Latifundien im Nordosten Floridas. Das Territorium der Martinez de Avilés erstreckte sich von der Atlantikküste einige Tagesritte weit ins Landesinnere und von ihrem Herrensitz Soledad bei St. Augustine hundert Meilen nach Süden. Die Familie beherrschte praktisch ein Drittel Floridas über einhundertfünfzig Jahre wie ein eigenes Königreich. Erst mit dem Ende der Vormachtstellung Spaniens in Amerika verlor sie an Einfluss, ihr legendärer Reichtum schwand dahin, und die fortschreitende Landnahme anderer Kolonialmächte setzte ihrer feudalen Herrlichkeit ein Ende. Lange bevor Florida an England fiel, war von dem gewaltigen Grundbesitz nicht mehr übrig geblieben als ein paar Hektar Weidelandes und das Stammhaus auf der Indigoplantage Soledad.
Miguels Mutter, Isabella Maria Alba Ruizco Martinez de Avilés, eine unbedarfte Frau mit seelenvollen Augen, wurde unsanft aus ihren Jungmädchenträumen gerissen, als sie nach der Blatternepidemie von 1755
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