Die Plantage: Roman (German Edition)
allein und ohne einen Real Bargeld dastand. Von der Verantwortung für den heruntergewirtschafteten Betrieb restlos überfordert, gab sie den elterlichen Nachlass in die Obhut des Anwalts der Familie und lebte vom stückweisen Verkauf ihres Grundbesitzes. Sie wohnte auf dem verfallenden Stammsitz ihrer Vorfahren in Gesellschaft einer Aufwartefrau und ihres letzten Haussklaven Cupide, den sie aus Sentimentalität nicht verkaufen wollte. Während sie durch die leeren Räume wanderte, sehnte sie sich nach einer Heirat mit einem wohlhabenden Mann, der sie aus ihrer ereignislosen Tristesse herausholte.
Während der Parade zum Namenstag der Infantin begegnetesie auf der Promenade von St. Augustine dem bildschönen Darrel Jackson, einem berufsmäßigen Spieler, der sich nach einer erfolgreichen Saison ein paar Tage des Nichtstuns gönnte. Isabella in ihrem Verlangen nach Liebe und Glück war für einen charmanten Herumtreiber wie Jackson leichte Beute. Er brauchte kaum eine Stunde verliebter Schmeichelei, schon war es um ihr Herz geschehen. Die atemberaubende Liebe ihres Lebens währte gerade drei Monate, dann fand sich Isabella verlassen und schwanger in dem baufälligen Anwesen von Soledad wieder.
In Einsamkeit und unter Schmerzen geboren, war der kleine Miguel für seine Mutter nur eine ungeliebte Erinnerung an ihr vergangenes Glück. Der ältliche Cupide kümmerte sich um den Jungen und zog ihn mit Familiengeschichten groß. Staunend lauschte Miguel Cupides Erzählungen vom Glanz und Ruhm der Martinez de Avilés, von rauschenden Festen und eleganten Soireen aus einer Ära bevor sein Großvater, der Zeichen der Zeit zu spät gewahr, Besitz und Privilegien verloren hatte. In Miguels kindlicher Phantasie wurde die glorreiche Vergangenheit der Familie zum Ersatz für alles, was ihm im wirklichen Leben fehlte.
Indes fand Donna Isabella Wege, wie sie Darrel Jackson vergessen konnte: sie verliebte sich immer wieder aufs Neue. Männer kamen und gingen in ihrem Leben, und bald lernte Miguel, dass er nicht im Weg sein durfte, wenn seine Mutter Herrenbesuch empfing. Da Cupide im Alter ungesellig wurde, war der Junge die meiste Zeit sich selbst und seiner Langeweile überlassen. So vertat er die einsamen Tage seiner Kindheit im verwilderten Garten hinter dem Haus, in Erwartung darauf, dass Mamá abends kam und ihm vorlas.
Die Jahre vergingen. Als Miguel mit zehn Jahren immer noch wartete, dass Mamá ihm vorlas, wurde Isabella endlich seiner vernachlässigten Bildung gewahr. Es gab kein Geld für einen Hauslehrer oder ein Internat, und natürlich kam eine öffentlicheSchule nicht infrage. Doch weil gerade die warme Jahreszeit begann, vergaßen sie einstweilen die Schule und fuhren ans Meer. Wie jedes Jahr logierten sie in einem Sommerhaus von Verwandten in einem ruhigen Badeort, der keinesfalls mondän hätte genannt werden können, und verbrachten die Tage mit Ausfahrten oder Spaziergängen an der Uferpromenade.
Eines Nachmittags wurde Donna Isabella auf der Terrasse eines Cafés von einem Mann mittleren Alters angesprochen, dessen gepflegtes Äußeres sie gleich für ihn einnahm. Er stellte sich vor als Alfonso de Soto, Inhaber einer kleinen Druckerei in St. Augustine. Isabella bat ihn an ihren Tisch. Señor de Soto, hocherfreut über die Gesellschaft, bestellte Tee und für den jungen Herrn Miguel Schokolade und Mengen von Kuchen und Zuckergebäck.
Man traf sich täglich. De Soto verwöhnte Miguel, wo er nur konnte. Es war nicht zu übersehen, dass er von dem Jungen fasziniert war, was nicht verwunderte. Miguel war ein schönes Kind, nicht nur im herkömmlichen Sinne: Miguel war berückend. Lange dunkle Locken, wimpernbeschattete Augen und ein makelloser, blass olivenfarbener Teint gaben seinem Knabengesicht feminine Weichheit. Sein kindlicher Körper war zartgliedrig, seine Gesichtszüge drückten eine Art frühreifen Ennui aus, der bei einem Jungen seines Alters irritierte. Er war zu jung und sich seiner Ausstrahlung nicht bewusst, das war sein Unglück.
Als de Soto vorschlug, den Jungen zum Baden mitzunehmen, stimmte Isabella gleich zu, denn es kam ihr entgegen, wenn ihr Sohn ein paar Stunden außer Haus war. De Soto unternahm mit Miguel ausgedehnte Fahrten zu den Stranddünen südlich des Badeortes. Er gab sich den Anschein eines väterlichen Freundes und umwarb den Jungen mit kleinen Beweisen seiner Zuneigung. Bald wurden seine Annäherungen direkter, und eines Nachmittags war es um seine Beherrschung geschehen. Nach
Weitere Kostenlose Bücher