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Die Plantage: Roman (German Edition)

Die Plantage: Roman (German Edition)

Titel: Die Plantage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Tarley
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zwei Jahren hat Papa sie geheiratet, wir mussten jetzt ›Mama‹ zu ihr sagen. Und dann ist sie so jung gestorben.«
    »An was erinnerst du dich noch? Erzähl!«
    »Ich weiß noch, wie Onkel Julien uns Adela Cosel vorstellte. Sie war sehr frei erzogen und für ein Mädchen ihres Alters ziemlich klug und gebildet. In ihrem Elternhaus in Weimar trafen sich berühmte Leute aus ganz Europa. Adela konnte sich mit ihnen in verschiedenen Sprachen unterhalten und erzählte von Dingen, die viele Erwachsene nie verstehen würden. Sie hat alle auf ihre Art fasziniert, ein außergewöhnliches Mädchen! Kein Wunder, dass Papa von ihr bezaubert war. Uns Kindern erzählte sie ihre düsteren deutschen Märchen, richtige Schauergeschichten, die sie in ihrer Phantasie immer weiterspann. Ihre Lieblingsgeschichte handelte von einem Waldgeist, dem Erlkönig, der bei Nacht und Nebel übers Moor reitet. Wer ihm begegnet, muss sterben. Adela aber sagte, sie habe keine Angst: Wenn ihr der Erlkönig begegne, würde sie mit ihm davonreiten.«
    Vielleicht ist er ihr wirklich begegnet, dachte Antonia. Esgab ihn, den Erlkönig, sie hatte ihn gesehen, als er aus dem Dunkel über den Damm geritten kam. Ein Mann auf einem Pferd. Weh dem, der ihm dort draußen begegnet war.
    Die Kaminuhr schlug die volle Stunde. Lydia wollte nach dem Mädchen rufen, um frischen Tee zubereiten zu lassen. Doch Antonia hatte bereits etwas vor. Sie verabschiedete sich unter dem Vorwand, dass die Schneiderin sie zur Anprobe erwarte. Kurz darauf stieg sie in eine Mietdroschke und nannte dem Kutscher eine Adresse im College Quarter.
    Dr. Inghams Praxis lag hinter dem Universitätscampus in der Jules Row. Antonia kannte den Arzt aus der Zeit, als sie ihren Vater wegen eines Lungenleidens zu wöchentlichen Behandlungen in die Praxis begleitet hatte. Ingham hatte ein Verfahren entwickelt, das in den Lungenflügeln gestaute Sekret abzusaugen, um dem Patienten vorübergehend Erleichterung zu verschaffen. Als Mediziner galt Inghams Hauptaugenmerk der Erforschung der Malaria, die im Lowcountry alljährlich viele Opfer forderte. In einer jahrelangen Studie hatte er das Auftreten des Wechselfiebers in bestimmten Regionen dokumentiert und fand dadurch seine Beobachtung bestätigt, dass es typische Krankheitsverläufe gab, die man gezielt behandeln konnte. Er verifizierte seine Forschungsergebnisse in einer breiter angelegten Studie mit Ärzten in Louisiana und Georgia, die wie er das periodische Auftreten der Malaria untersuchten. Diese Studie zeigte, dass die Anzahl derer, die nach einer Infektion mit Malaria ihr Leben in langsamem Siechtum zubrachten, stetig zunahm. Ein beunruhigendes Ergebnis, und noch immer war die Ursache des Fiebers nicht entdeckt. Doch Ingham war überzeugt, dass der geheimnisvolle Erreger der Krankheit, wie der Name mal’aria besagte, in den »schädlichen Lüften« der Sümpfe zu finden war.
    Antonia hatte Ingham in einem kurzen Brief um einen Untersuchungstermin gebeten, weil sie sich vergewissern wollte,dass mit ihr und dem Kind alles in Ordnung war, bevor sie in die Wildnis am Plains River zurückkehrte, wo es nur den unbedarften Viehdoktor Boyle in Borroughton gab. Von Inghams Assistenten bekam sie den Bescheid, der Arzt sei zur Behandlung seiner Malariapatienten an den Ashley River gefahren; sie könne ihn nach seiner Rückkehr am Montag aufsuchen.
    Als sie nun sein Ordinariat betrat, erhob sich Ingham und ging ihr entgegen. Er musste inzwischen um die sechzig sein, war ergraut und etwas untersetzt, aber sehr vital, mit forscher Gestik und klarem, nüchternem Blick.
    »Ich freute mich, als ich hörte, dass Sie heute kommen, Mrs. Lorimer. Der Anlass Ihres Besuchs hat hoffentlich keine ernstere Ursache?«
    »Ich möchte wissen, ob alles in Ordnung ist, was in Ordnung scheint, Doktor. Nur …«
    »Bitte setzten Sie sich, meine Liebe.« Behutsam kam er ihrer aufkommenden Scheu zuvor und bot ihr einen Stuhl an.
    Blätter mit Notizen bedeckten seinen Arbeitstisch, Handskizzen von krankheitstypisierten Gesichtszügen, wissenschaftliche Veröffentlichungen und Zeitungsausrisse; auf einer Seite standen medizinische Lehrbücher und Nachschlagewerke, auf der anderen lag, halb geöffnet, die Instrumententasche. Ingham nahm ein liniertes Blatt und eine frisch beschnittene Feder zur Hand.
    »Erzählen Sie mir, weswegen Sie hier sind, Mrs. Lorimer. Ich werde Ihnen dann ein paar Fragen stellen, einverstanden?«
    Inghams ruhige Autorität half ihr, über ihren

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