Die Plantage: Roman (German Edition)
innerhalb der vergangenen vierundzwanzig Stunden eingetreten war.
Ingham deckte den Leichnam zu und ging zum Hofbrunnen, wo er gründlich mit Wasser und Seife die Spuren der Obduktion von seinen Händen wusch. Danach kümmerte er sich um den kranken Javis. Er brachte ihn in seine Unterkunftund gab ihm ein chininhaltiges Medikament. Es stand nicht gut um Javis, das Fieber stieg bedenklich. Ingham blieb an seinem Bett und redete mit ihm.
»Sie haben der Infektion nicht viel entgegenzusetzen, Mr. Javis. Dazu kommt das unzuträgliche Klima. Sie sollten am Meer leben.«
Javis lächelte schwach. »Sie sind sehr freundlich, Doktor, aber die Seeluft kann mich nicht mehr retten.« Die fiebrig-trüben Augen halb geschlossen, murmelte er: »Nicht mehr lange, dann kommt er … und nimmt mich mit.«
»Wer soll denn kommen, Mr. Javis?«, fragte Ingham geduldig.
Javis flüsterte: »Der Erlkönig kam und nahm sie mit … Elverking ist sein Reich.«
Der Arzt horchte eine Weile auf den flachen, unregelmäßigen Atem des Fiebernden, dann ging er hinaus, er konnte nichts mehr für ihn tun. Draußen hielt er ein Mädchen an, das mit einem Reiskessel aus dem Küchenschuppen kam. »Wenn du das Essen verteilt hast, geh zu Mr. Javis. Gib ihm zu trinken und rede mit ihm. Wirst du das tun, Mädchen?«
Die kleine Sklavin riss die Augen auf. »Stirbt er?«
»Ja, aber er soll nicht alleine sein, wenn es zu Ende geht, verstehst du?«
Sie nickte zögernd. Erleichtert begab er sich zu seinen Patienten in den Sklavenhütten.
Bevor er sich auf den Rückweg machte, hielt er seine Befunde in seinem Notizenheft fest. Die Krankengeschichte von Greg Javis war mit diesem letzten Besuch für ihn abgeschlossen, ganz anders dagegen der Fall der toten Frau. Nachdem er seinen Obduktionsbericht für das amtliche Protokoll noch einmal durchgelesen hatte, schrieb er in einem Nachsatz: »Die Tote von Elverking erinnert an zwei ungeklärte Leichenfunde im Bezirk Charles Town aus den Jahren 1777 und 1779. Die beiden Leichname, ein Matrose und eine Kellnerin, wiesen die gleichen symmetrisch am Oberkörper verlaufenden Schnittverletzungenauf und beide starben ebenfalls durch Verbluten. Wie bei der Toten von Elverking gab es in den früheren Fällen keinen Hinweis auf ein Sexualdelikt. Man kann vermuten, dass sie alle Opfer des- oder derselben Täter wurden.«
Bei der Abfahrt trieb er das Pony so heftig an, dass es ihm wie eine Flucht vorkam, als er den Wagen in schwankender Fahrt durch das Hoftor lenkte. Seine Gedanken waren bei dem sterbenden Javis, bei seinen Fieberphantasien vom Erlkönig, bei dem von Wasserhyazinthen umschlungenen, geschundenen Frauenleichnam, und er wurde den Eindruck nicht los, einer drohenden Gefahr nur knapp entronnen zu sein.
Sein Weg führte an gefluteten Reisterrassen vorüber, trübe Seen stehenden Wassers, unter deren Oberfläche sich ein Mikrokosmos von geheimnisvoller Vitalität entfaltete: Myriaden von Larven einer Stechfliegenart, der Anopheles. In ihrer unscheinbaren Winzigkeit von der Wissenschaft noch nicht bemerkt, verbreitete sie Jahr um Jahr die Seuche Malaria, den Unheil bringenden Atem der Sümpfe.
Die Anwesenheit der toten Frau war ein sichtbarer Beweis für die Existenz des Bösen. Die Schwarzen waren zu den Bewässerungskanälen zurückgeschickt worden, aber sie nahmen die Arbeit nur zögerlich auf und mieden den überwachsenen Abzugsgraben, in dem die Tote gelegen hatte. Der neue Aufseher, Crossbows Fuhrknecht Gabriel Quinn, der die Aufgaben des kranken Javis übernehmen musste, begegnete verschlossenen Mienen und einem Widerstand aus Passivität, vor dem seine ungehaltenen Befehle wirkungslos verhallten. Also ging er zum Farmhaus zurück, schilderte Crossbow die Situation und schlug vor, die Arbeiten an den Kanälen abzubrechen; es gebe für die Leute genug anderes zu tun.
»Kommt nicht infrage!«, blaffte Crossbow. »Lernen Sie sich durchzusetzen, Mann. Wenn Javis den Fieberanfall nicht übersteht, werden Sie den Job noch eine Weile machen müssen.«
»Schon möglich. Aber heute bringe ich die Leute nicht mehr dazu, am Lennox Flow zu arbeiten, Sir. Sie fürchten sich.«
»Auf einmal so zartbesaitet, Quinn? Sie wissen, wie man mit widerspenstigen Sklaven verfährt. Nehmen Sie die Peitsche!«
»Augenblick«, unterbrach ihn Hocksley. »Sie sagen, die Sklaven fürchten sich. Was meinen Sie, Mr. Quinn, wovor könnten sich diese Schwarzen mehr fürchten als vor unseren Bestrafungsmethoden?«
Quinn schwieg und
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