Die Plantage: Roman (German Edition)
glauben Sie mir. Der Mann gehört zu den bestausgebildeten Soldaten der Britischen Armee. Falls er da draußen jemandem begegnet, würde ich mir um den anderen größere Sorgen machen.«
Er hatte sein Frühstück beendet, trank den letzten Schluck aus seiner Kaffeetasse und stellte Antonias unberührten Teller zurück zum Herd. »Kommen Sie, Shaughnesseys Leute werden bald hier sein«, sagte er, nahm seinen Hut vom Haken und hielt ihr die Tür auf. Weil sie zögerte, setzte er hinzu: »Sie können ihn nicht einsperren. Keine Sorge, er wird schon auf sich aufpassen.«
Sie gingen zusammen zum Herrenhaus. Geräuschvoll fuhr ein Stellwagen vor, Shaughnesseys Arbeiter sprangen von der Ladefläche und luden Leitern und Seilzeug ab. Antonia drehte sich auf der Eingangstreppe um und blickte die Allee entlang. Joshua, der ihrem Blick folgte, sagte nachdenklich: »Hoffentlich nimmt er den Rückweg durch den Wald.«
Sie fiel aus allen Wolken. »Glaubst du, dass er zurückkommt?«
»Ja, was denn sonst?« Er lachte. »Dieser Engländer leidet zwar an schwerer Selbstüberschätzung, aber er ist nicht verrückt.«William ritt an verwahrlosten Pflanzungen vorbei, an schlammigen Abzugsgräben und Schwemmbecken, die vollständig von Wasserhyazinthen überwachsen waren. Nach einer Meile kam er an das Stauwehr, das die Bewässerungsanlagen von Legacy mit dem Plains River verband. Das Wehr war geflutet, die Klappen zur Wasserstandsregulierung fehlten oder waren von Ablagerungen blockiert oder verrottet.
Er folgte dem Fluss, der die Besitzungen im Nordosten begrenzte, und schwenkte nach einer knappen Meile nach Süden. In den unwegsamen Auwäldern von Weiden und Schwarzpappeln ließ er das Pferd in Schritt fallen, um seinem verletzten Bein etwas Erleichterung zu verschaffen. Bald traf er auf einen künstlichen Wasserlauf, der zwischen erhöhten Uferdämmen dahinfloss und zu einer Lichtung führte, die in der vollen Morgensonne lag. Vom Boden stieg Dunst auf, was den Eindruck erweckte, als füllte die Lichtung ein milchiger See. Auf einem Hügel in der Mitte stand eine Kate.
William hielt an. Er war schon einmal hier gewesen, das wusste er genau. Und doch sah es anders aus als in seiner Erinnerung. Er zog die Brauen zusammen: Bäume, Sträucher, der Hügel mit der Kate, alles, die ganze Lichtung, selbst der Dunst vibrierte im Sonnenlicht wie eine Luftspiegelung. Er fuhr sich über die Augen. Irgendetwas geschah mit dem Licht, es verdichtete sich, wurde weiß und so blendend hell, dass er den Kopf abwenden und kurz die Augen schließen musste. Als er wieder hinsah, bemerkte er vor der Kate eine Frau in einem bunt gewebten Überwurf. Langes, grauschwarzes Haar hing über ihre Schultern herab. Mit ausdruckslosem Gesicht hob sie eine Hand, eine zurückweisende Geste.
Es war, als träfe ihn ein heftiger Stoß, starkes Schwindelgefühl befiel ihn. Er musste sofort von hier weg! Hart dirigierte er Ghost zurück in den Wald und trieb ihn energisch an. Das Pferd galoppierte los, es kannte den Weg.Vier Federn hatte gewusst, dass er kommen würde, so wie sie von vielen Ereignissen wusste, lange bevor sie geschahen. War sie in guter Verfassung, konnte sie sehen, was sich zutragen würde, und Ort, Zeit und diejenigen benennen, die es betraf. War sie in Sorge, trübten ihre Befürchtungen die Vision, wie aufgewühlter Schlamm das klare Wasser einer Quelle.
Die Leute des Otter-Stammes nannten die Fähigkeit, Dinge vorauszusehen, nu-alat , die Bilder nannten sie vé-nue . Der Medizinmann war nu-alat , und seine Deutungen von vé-nue bestimmten die Zukunft des Stammes. Im Alter von zehn Jahren hatte Vier Federn begriffen, dass sie nu-alat war; wie der Medizinmann sah sie Bilder, aber sie sprach nicht darüber. Auch als sie entdeckte, dass er die Visionen zu seinem persönlichen Vorteil deutete, schwieg sie. Es stand ihr nicht zu, die Weisheit des Medizinmannes anzuzweifeln. Als sie älter wurde, konnte sie künftige Ereignisse mit großer Klarheit erkennen. Ihr Vertrauen in die Gabe wuchs, doch es machte sie traurig, über ihre Fähigkeit Stillschweigen bewahren zu müssen.
Dann sah sie, dass Schlimmes geschehen würde. Vor den Ältesten durfte sie nicht sprechen, darum ging sie ins Lager der Krieger und erzählte von der Bedrohung. Die Männer erschraken bei ihrer Schilderung von Tod und Verderben. Doch nach und nach verblassten die Befürchtungen, die Vier Federn mit ihrer Vision geweckt hatte. Es waren ruhige Zeiten, die Stämme lebten in
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