Die Plantage: Roman (German Edition)
Frieden miteinander, und nach erfolgreicher Jagd erwartete man ein Winterlager ohne Hunger. Nur Vier Federn dachte an die bevorstehende Gefahr und blieb wachsam.
Als weiße Männer das Dorf überfielen, töteten sie alle Krieger des Otter-Stammes und ihre Familien. Vier Federn verbrannte die Toten, bevor sie die Hügel und Täler ihrer Kindheit verließ. Die Heilerin des Otter-Stammes hatte sie die Medizin der Secotan gelehrt, auf ihren Wanderungen lernte sie neue Heilweisen kennen. Mit der Zeit wurde sie eine gesuchte Heilerin, die auch den weißen Einwanderern half.
Vor Jahren zeigte vé-nue ihr einen Mann mit Indianerhaar und Augen, hell und grau wie Nebel, mit dem Adlerblick des Kriegers. Als sie aus der Kate trat, sah sie ihn am Rande der Lichtung. An diesem Ort waren sie sich schon einmal begegnet, nun war er zurückgekehrt. Sie kannte seine Geschichte, die im Tod begonnen hatte. Irgendwann würde sie ihm alles erzählen. Doch nicht heute. Noch nicht.
Die Handwerker schafften Trümmerteile und Schutt aus der Bibliothek. Zwei Männer auf Leitern lösten vorsichtig die Überreste der plastischen Deckenornamente ab, die später als Vorlagen zur Anfertigung neuer Stukkaturen dienen würden. Dann begannen Jordans Leute, unter der Decke ein Gerüst aufzubauen.
Zuvor war das restliche Mobiliar, ein paar unbeschädigte Wandschränke und Antonias Schreibtisch, in der Verwalterwohnung, einer separaten Zimmerflucht auf der anderen Seite der Halle, untergebracht worden. Auch die Bücher würden hier bis zum Ende der Bauarbeiten sicher verwahrt bleiben.
Antonia suchte aus den offenen Büchertruhen einige Bände heraus, die sie als Handbibliothek behalten wollte. Die fertig gepackten Truhen wurden von Joshua mit Stroh aufgefüllt, fest verschlossen und an einer Wand aufgestapelt. Ein halbwüchsiger Schwarzer ging ihm dabei zur Hand, ein stiller Junge mit schräggeschnittenen Augen, den Antonia zuvor noch nie gesehen hatte.
»Wer bist du?«, sprach sie ihn an, nachdem alle Truhen verstaut waren. »Du lebst wohl noch nicht lagen auf The Willows?«
» Non, Madame, Mass’a Shaughnessey holte mich von seiner domaine auf Barbados«, antwortete er mit französischem Akzent. »Ich heiße Néné Mougadou.«
»Dann gehörst du zu Rovenas Familie?«
» Oui, Madame , ich bin der Neffe von Rovena-la-Sorcière . IhrBruder Raoul Mougadou, der Caid von Beau Séjour, ist mein Vater.«
Antonia wechselte mit Joshua einen vielsagenden Blick. Raoul Mougadous Einfluss ging weit über die Insel Hispaniola hinaus, er erreichte alle Voodoo-gläubigen Schwarzen, von der Karibik bis in die Sklavendörfer Carolinas. Doch es gab noch einen weiteren Grund für Antonias Betroffenheit. Auf Beau Séjour wurde nicht nur Melasse für die Brennereien von Richmond und Provincetown produziert, die Plantage brachte noch eine weitaus wertvollere Handelsware hervor: schwarze Sklaven in großer Zahl für die amerikanischen Kolonien. Nénés sanfter Blick verriet nichts über die menschenverachtenden Zustände, die auf Beau Séjour herrschten. Doch seine Seele war versehrt. Mit kaum fünfzehn Jahren wirkte er erschreckend kraftlos, als hätte ihn das Leben vorzeitig erschöpft.
»Komm, Néné«, sagte Joshua und zwinkerte Antonia kurz zu, »wollen mal sehen, ob wir für dich was zu essen auftreiben.«
Frank Shaughnessey hatte ein paar Zeitungen geschickt, Antonia nahm sie mit zum Kutscherhaus, setzte sich auf die Veranda und las, was über Washingtons Vormarsch in Virginia berichtet wurde. Der Leitartikel schilderte voller Begeisterung die Belagerung eines Tabakhafens amYork River. Der befestigte Stützpunkt war für Cornwallis’ Armee zur Falle geworden, nachdem die Continentals von der Landseite her einen Ring um die Stadt geschlossen hatten, während die Flotte der französischen Verbündeten die Hafenzufahrt blockierte. Es hieß, mit der Belagerung vonYorktown sei der Sieg über Großbritannien in greifbare Nähe gerückt.
Als sie einen Wagen heranrollen hörte, legte sie den Artikel beiseite. Eine schwarze Reisekutsche hielt vor dem Herrenhaus und zwei Männer in formeller Kleidung stiegen aus. Der Größere der beiden betrachtete eingehend das Haus. Irgendwoherkam er ihr bekannt vor. Joshua erschien im Portikus und redete mit dem Mann, dann wandte er sich suchend zum Kutscherhaus und winkte ihr zu. Sie ging hinauf und erkannte beim Näherkommen den Yankee, Mr. Tyler aus New York, der neue Mitarbeiter von Ashley & Bolton. Der andere Mann musste
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