Die Plantage: Roman (German Edition)
es zu verstehen. Nein, sie hatte keine Angst. Ihr Fluchtinstinkt schwieg. Sie wartete einfach ab, was geschah.
Auf dem Weg näherten sich Schritte. »Bleiben Sie ruhig stehen, Ma’m«, sagte jemand hinter ihr. »Es ist gleich vorüber.«
»Ich weiß«, flüsterte sie, ohne sich umzusehen.
Ein Mann in Reitkleidung ging an ihr vorbei. Er fasste Reed energisch am Oberarm, sagte aber in ehrerbietigem Ton: »Ihr Wagen wartet vor dem Club, Sir. Wenn Sie es wünschen, kann ich später noch einmal wiederkommen.« Er ließ Reeds Arm los und trat zur Seite.
Antonia bemerkte, dass Reed den Blick von ihr nahm und sich langsam dem Mann zuwandte, der ruhig weitersprach: »Mr. Clayburn sagte mir, Sie seien mit Mrs. Lorimer im Garten. Natürlich wollte ich Ihre Unterhaltung mit der Dame nicht stören.«
»Danke … Mister … Quinn.« Reed fand langsam die Sprache wieder. »Verzeihen Sie, Madam … Kennen Sie Mr. Quinn? Ein talentierter junger Mann mit einem bemerkenswerten Gespür für timing .«
Quinn verneigte sich. Sie musterte den hochaufgeschossenen Burschen, dessen ruhiger, abwägender Blick Intelligenz verriet. Quinn wirkte reifer, als er an Jahren zählen mochte, und wie es aussah, war er Reed absolut ergeben.
Sie gingen zu den anderen auf die Terrasse. Clayburn empfing Reed gleich mit der Frage, in welcher Größenordnung er sich an dem Rennbahnprojekt beteiligen wolle. Antonia und Quinn blieben am Rand der Terrasse unter den ausladenden Ästen eines Lebensbaums stehen. Im Laub über ihnen schimmerten pastellfarbene Papierlampions.
»Sie waren eben sehr freundlich, Ma’m«, sagte Quinn. »Mr.Reed hatte einen anstrengenden Tag und war wohl nicht besonders aufmerksam.«
»Ich kenne Mr. Reeds abwesende Momente, Mr. Quinn!«
»Oh, tatsächlich?« Quinn vergewisserte sich, dass niemand zuhörte, ehe er leise fortfuhr: »Dann werden Sie ihm diese Schwäche heute verzeihen?«
»Mit Schwäche hat das nichts zu tun«, versetzte sie scharf. »Sie wissen so gut wie ich, wozu er imstande ist.«
»Darüber dürfen Sie nicht sprechen!«, sagte er tonlos. »Niemals, haben Sie gehört?«
»Menschen sterben, Mr. Quinn! Sehen Sie nicht, dass er wahnsinnig ist?«
»Er ist ein Gentleman, nur manchmal geht es ihm nicht gut.«
»Er ist ein Mörder, er tötet auf unbeschreiblich grausame Weise!«
»Das wird nicht mehr geschehen. Glauben Sie mir, es ist vorbei.«
»Wie wollen Sie das wissen? Wer sind Sie, sein Arzt?«
»Ma’m, ich kann es verhindern, weil ich weiß, wie ich mit ihm umgehen muss. Sie haben es selbst gesehen, ich habe die Situation im Griff.«
»Ja, ich habe es gesehen und gehört, wie Sie mit ihm reden. Aber was ist, wenn der Irrsinn ihn vollends erfasst? Wenn Sie keinen Einfluss mehr auf ihn haben …«
»Dann wird der Tag sein letzter sein. Doch bis dahin werde ich nicht zulassen, dass man Hand an ihn legt!«
Quinn meinte es ernst, wie es aussah, war er entschlossen, Reed zu beschützen und ihm beizustehen bis zum Tod. Antonia dachte an alle, die, um Reed zu schützen, ihr Leben hingeben oder zusehen würden, wie andere starben; Rovena und Joshua, Castor und die Mougadous von Stratton; auch sie selbst und Quinn waren gebannt von der Vorstellung, Reed beschützen zu müssen. Bedrohlich erhob sich der Schatten des riesigen Rades. Ohne ihr Zutun war es wieder in Bewegunggekommen, doch es rollte jetzt in eine andere Richtung. Die Speichen drehten und drehten sich immer schneller. Wenn niemand es aufhielte, würden viele darunter zermalmt werden.
Quinn verabschiedete sich rasch, um Reed zu seiner Kutsche zu begleiten. Die Gesellschaft löste sich auf. Tyler, seiner Verpflichtungen endlich ledig, kam und entschuldigte sich, dass er sie so lange vernachlässigt hatte.
»Es tut mir leid, Tonia. Anscheinend denkt alle Welt, ein Bankier täte nichts lieber, als sich über Geld und Renditen zu unterhalten.«
»Womit alle Welt recht hat«, antwortete sie gereizt, dann bemerkte sie seinen fragenden Blick. »Verzeih, Andy, ich hab es nicht so gemeint.«
Sie hakte sich bei ihm unter und ging mit ihm zum Tor. Sie war froh, dass er bei ihr war, in seiner Gegenwart konnte nichts Schlimmes geschehen. Bei ihm war sie sicher.
»Es war schön dort oben auf dem Balkon, unter den Sternen«, sagte sie. »Wir hätten nicht herunterkommen, wir hätten für uns bleiben sollen, nur wir zwei.«
»Wir werden für uns sein, wann und wo du willst, Tonia«, antwortete er. »Wir könnten immer zusammen sein, wenn du meine Frau
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