Die Plantage: Roman (German Edition)
Pult ein. Quinn fand, dass er nicht mehr gebraucht wurde. Auf Reeds zustimmende Geste ging er hinaus.
Beim Weg durch die Halle blickte er in den spärlich möblierten Salon und entdeckte Roscoe, der in der offenen Fenstertüre stand; den linken Arm ruhig ausgestreckt, in der Hand eine Pistole mit langem Lauf, machte er Zielübungen auf die in der Entfernung weidenden Pferde.
»Würden Sie bitte nicht die Pferde anvisieren!«, sagte Quinn verärgert, indem er auf ihn zuging.
Roscoe ließ die Waffe sinken und drehte sich schwungvoll auf den Absätzen um. »Gabriel, mein Freund! Warum so ernst?«
Quinn überlegte, ob das eine echte Frage war oder lediglich Ausdruck von Roscoes Manieriertheit. Die Miene des Kreolen ließ sich nicht deuten, also entschied er sich für die Frage und sagte friedfertig: »Lassen Sie Marcus in Ruhe, Roscoe. Nur weil der Captain den Jungen mag, müssen Sie ihn nicht schikanieren.«
»Bist du darum so schlecht auf mich zu sprechen, Quinnie?«, erwiderte Roscoe in seinem schleppenden Tonfall. »Ich hab dem Bengel doch gar nichts getan.«
»Das würde ich Ihnen auch nicht raten, Lieutenant.«
»Oho, du würdest es mir also nicht raten!« Unvermittelt hob Roscoe die Pistole, setzte die Mündung des Laufs genau aufQuinns Herz und spannte den Abzug. Das metallische Geräusch, mit dem der Federmechanismus einrastete, hallte durch das leere Zimmer. Quinn hielt den Atem an. Einige Augenblicke standen sie unbewegt Auge in Auge, dann begann Roscoe zu grinsen. »Respekt, Gabriel. Dein Meister wäre stolz auf dich!«
Quinn stieß den Atem aus, schob den Pistolenlauf zur Seite und ging an Roscoe vorbei nach draußen. Er war kaum zwanzigYards vom Haus entfernt, als ein Schuss die Luft erschütterte. Von dem ohrenbetäubenden Lärm erschreckt, flogen alle Vögel der Umgebung davon.
Quinn fuhr wütend herum. Er stand neben einem Zierfischbecken, auf dessen Rand, kein Fußbreit von ihm, die steinerne Figur eines Fauns kauerte, der sich selbstverliebt im Wasserspiegel betrachtete. Die Hand des kleinen Halbgottes, die eine Rohrflöte hielt, lag abgetrennt neben dem Becken im Gras. Roscoe, im Pulverrauch zwischen den Säulen des Wandelgangs, erwiderte mit einem Schulterzucken Quinns abgründigen Blick, bevor er die Pistole ins Holster steckte.
Immer wieder nahm Quinn sich vor, es nicht zu einer Auseinandersetzung mit Roscoe kommen zu lassen, auch wenn dessen Distanzlosigkeit es ihm schwermachte, sich nicht provoziert zu fühlen. Doch wie die Dinge lagen, hatte er keine Möglichkeit, sich gegen Roscoe zu behaupten. Das war ihm in dem Moment klar gewesen, als er den Kreolen vor einem Monat wiedersah …
Es war an einem Sonntag Mitte Juni. Als Quinn und Reed von der Rennbahn zurückkamen, stand auf dem Sattelplatz ein fremdes Pferd. Jemand hatte es beim Wassertrog angebunden und unversorgt sich selbst überlassen.
»Wo kommt das Pferd her?«, fragte Quinn den Stallburschen.
Der Junge zeigte zum Herrenhaus. »Es gehört dem Gentleman dort. Er ist vor einer Stunde gekommen, seitdem sitzt er dort oben, Sir.«
Quinn und Reed blickten zum Herrenhaus. Ein Mann saßauf einer Bank im Wandelgang. Rock und Hut hatte er abgelegt; die Beine lässig von sich gestreckt, lehnte er in den Polstern.
»Ungefragt darf niemand den Garten betreten, Captain. Ich werde mich sofort darum kümmern«, sagte Quinn und rief den Stallmeister, um ihn wegen des Fremden zur Rede zu stellen.
Doch Reed hörte ihm nicht mehr zu. Den Fremden gespannt ins Auge gefasst, ging er den Hügel hinauf und wurde mit jedem Schritt schneller, schließlich lief er das letzte Stück aufs Haus zu. Quinn war ihm gefolgt, er kam gleichzeitig mit Reed an, der ungläubig ausrief: »Oliver!«
Der Mann sprang sofort von der Bank auf. Im nächsten Moment lief er auf Reed zu und warf sich ihm in die Arme.
Der hielt ihn fest, drückte ihn ans Herz. »Oliver! Oliver!«
Quinn hatte ihn auf den zweiten Blick erkannt, Oliver Roscoe, Captain Reeds First Lieutenant aus ihrer Zeit bei der Miliz. Roscoe hatte eine kräftigere Statur bekommen, das kurz geschorene Haar hob seine schönen Gesichtszüge markant hervor.
Hatte Reed nicht gesagt, Roscoe sei ertrunken? Wie auch immer, er war hier, Reed strahlte in freudigem Überschwang und fuhr ihm lachend durchs Haar. Roscoe hatte keine Scheu, seine Gefühle zu zeigen, er küsste Reed auf die Wangen, während ihm Freudentränen übers Gesicht liefen. Wie die beiden sich anblickten, zu überwältigt, um die Empfindung
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