Die Plantage: Roman (German Edition)
mich sollte das hier wichtig sein?«
»Sagen wir es so: Ich befasse mich seit Längerem mit bestimmten Vorfällen. Schon nach dieser ersten oberflächlichen Untersuchung denke ich, es besteht womöglich ein Zusammenhang zu dem, was Ihnen widerfahren ist.«
»Das heißt, Sie haben solche Verletzungen schon einmal gesehen?«
»Allerdings, ja. Es würde mir sehr weiterhelfen, wenn Sie mir erzählen, wie es in Ihrem Fall dazu gekommen ist.«
»Nach was sieht es denn aus, Doktor?« Zu spät bemerkte Ingham den drohenden Unterton. William fuhr ihn wütend an: »Ich bin gefoltert worden! Möchten Sie Einzelheiten hören? Wollen Sie wissen, wie es ist, wenn jemand sich an Ihren Schmerzen weidet? Wollen Sie hören, dass ich geschrien habe? Oh ja, ich habe geschrien! Ich habe gefleht, er solle es endlich zu Ende zu bringen. Lieber wollte ich sterben, als das noch länger ertragen.« Heftig atmend wandte er sich ab. Als er sich beruhigt hatte, ging er zum Tisch zurück, zog Hemd und Weste an, ließ sich in den Stuhl fallen. Er fuhr sich übers Gesicht. »Bitte entschuldigen Sie, Doktor.«
»Sie müssen sich nicht entschuldigen, Mr. Marshall. Es war meine Schuld, ich hätte Sie nicht danach fragen dürfen.«
Ingham wusste, er hatte es ganz falsch begonnen; wenn Marshall sich gedrängt fühlte, würde er weder über seine Folter noch über denjenigen sprechen, der ihn gequält hatte. Um mehr zu erfahren, musste Ingham behutsamer vorgehen und versuchen, William mit der Argumentation des Arztes zu überzeugen. »Hören Sie bitte, Sir, Sie sind zu mir gekommen, damit ich Ihnen helfe. Dafür muss ich aus medizinischer Sicht die Umstände kennen, die zu Ihren Verletzungen geführt haben. Natürlich müssen Sie nicht darüber sprechen, wenn Sie nicht wollen.« Er trat neben William, legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Darüber hinaus, bitte verstehen Sie mich richtig, gibt es für mich wirklich wichtige und zwingende Gründe zu erfahren, was mit Ihnen geschehen ist. Darf ich fortfahren?« Als William nach kurzem Zögern nickte, setzte sich der Arzt wieder an den Tisch. »Verletzungen wie Ihre habe ich bisher nur an Toten gesehen; an dreien, um genau zu sein.« Er zog aus einem Stapel Unterlagen die Obduktionsberichte. »Das letzte Opfer, eine junge Frau aus der Gegend, wurde erst vor wenigen Wochen am Ashley River gefunden.«
»Sie meinen, hier wurde kürzlich eine Leiche mit … ebensolchen Verletzungen gefunden?«
»So ist es: symmetrische Schnitte, das Ablösen gleichförmiger Hautpartien. Da ich die Obduktion an besagten drei Leichen durchgeführt habe, möchte ich behaupten, dass alle drei Opfer von demselben Täter umgebracht worden sind.«
»Und Sie glauben nun, ich werde Ihnen sagen, wer es war?«
Williams Ausdruck hatte sich verändert, ruhige Entschlossenheit hatte seine vorigen Gefühle verdrängt.
Ingham erkannte erschrocken, dass er die Situation falsch eingeschätzt hatte: Marshall war seinem Folterer längst auf der Spur; mit welchem Ziel, lag auf der Hand. »Was haben Sie vor?«
»Was glauben Sie, Doktor?«
»Sie wollen sich rächen! Wer wollte es Ihnen verdenken.« Ingham seufzte schwer. »Bitte, tun Sie es nicht, geben Sie Ihre Rachegedanken auf, Mr. Marshall. Es wird sich dadurch nichts ändern, glauben Sie mir. Die Ressentiments werden bleiben. Sie können, was geschehen ist, nicht ungeschehen machen.«
»Ich habe in der Folter meinen eigenen Tod erlebt! Also sagen Sie mir nicht, was ich darf und was nicht. Ich will Genugtuung, ich will meinen Peiniger vernichten. Und Sie sollten mich nicht aufhalten. Oder wollen Sie, dass noch mehr verstümmelte Leichen auftauchen?«
»Sie wissen, wer es ist! Suchen Sie ihn hier, in Charles Town?« Ingham wartete nur darauf, dass William ihm Reeds Namen nannte.
»Natürlich weiß ich, wer es ist. Ich hoffe, er wird sich als meiner Rache würdig erweisen.«
»Nicht doch, bitte hören Sie mir zu: Ich habe Ihnen von den anderen Opfern erzählt. Wenn Sie den Mann aus Vergeltung für das, was er Ihnen antat, töten, werden diese Mordfälle nie gelöst werden.«
»Oh natürlich, Sie wollen den Beweis und ein ordentliches Verfahren, um Ihre obskuren Leichenfunde aufzuklären, richtig? Was wird dann aus meiner Rache? Nein, Dr. Ingham, er gehört mir.«
»Aber verstehen Sie denn nicht, Mr. Marshall: Wenn gegen diesen Mann kein Prozess geführt wird, werden Unschuldige sterben. Man will vierzehn Sklaven und eine Freigelassene für den jüngsten Mord verantwortlich
Weitere Kostenlose Bücher