Die Plantage: Roman (German Edition)
Dann, mit konzentrierter Miene, setzte er das Messer unter Williams linke Achsel, stemmte sich gegen den Schaft, bis die Spitze ins Fleisch eingedrungen war, und führte im Bogen einen Schnitt über die Brust zur Körpermitte. Dasselbe wiederholte er auf der rechten Seite. Zwei Fingerbreit darunter schnitt er die nächsten beiden Bögen und so immer weiter, in blutender Symmetrie, über den Brustkorb und die gespannte Haut unterhalb der Rippen bis zum Schambein. Die Klinge zog er meist flach unter der Haut hindurch, als wollte er sein Opfer häuten. Von den Schmerzen bis zum Äußersten gefordert, flehte William zwischen seinen Schreien um Gnade. Als er gelernt hatte, dass Flehen sinnlos war, schrie er nur noch in den gleichgültigen Himmel. Er hoffte auf den Tod als das Ende seines Elends, doch Reed zerrte ihn jedes Mal zurück, wenn ihm die Sinne schwanden. »Stirb nicht«, keuchte er erregt, »noch nicht!« Irgendwann zerschnitt er ihm die Fesseln, zog ihn an sich und … küsste ihn.
Jäh fuhr William zurück. Diesen Teil der Erinnerung hatteer bisher vermieden, auch wenn er ihn nicht ganz aus seinem Gedächtnis verbannen konnte; ebenso wenig wie das Wissen, dass Reed ihn am Ende seines Leidens, nachdem er ihn bis zur moralischen und physischen Selbstaufgabe gequält hatte, gar nicht hatte töten wollen. Aber was war schlimmer als der Tod? William konnte dem, was Reed ihm angetan hatte, keinen Namen geben. Doch was immer es war, es wandelte seine Unterwerfung am Ende in Hingabe an den »Herrn seiner Qualen«: Er hatte Reeds Kuss erwidert, als sei es das Einzige, was er in seinem Leben noch tun konnte.
Heiße Scham erfüllte ihn, ein peinigendes Gefühl der Schmach, das der Erniedrigung durch die Folterqualen gleichkam. Solche Schande konnte nur durch Blut getilgt werden. War er nicht deshalb hierhergekommen? Er blickte auf den Toten, auf das viele Blut, Reeds Blut, das hier und heute vergossen werden sollte – nun war es vergossen worden. Es war zu Ende. Endlich war es vorbei.
Das Klopfen hatte aufgehört. Roscoe beobachtete Williams inneren Kampf angesichts des blutüberströmten Leichnams. Es musste geraume Zeit vergehen, bis eine Art resignierter Ernüchterung Williams Züge entspannte. Als er sich von dem Toten abwandte, stand Roscoe auf, ging hin zu ihm und übergab ihm unaufgefordert die Pistole. William strich über den langen Lauf und die Silberapplikationen. Während er mit den Fingern den schwarzen Pulverschmauch verrieb, sagte er: »Wo ist die andere?«
Roscoe zögerte unmerklich, dann ging er zurück und holte die zweite Pistole mit dem Holster und der Munition unter dem Bett hervor.
William ließ ihn nicht aus den Augen. »Sichern!«, sagte er ruhig.
Roscoe legte Holster und Munition aufs Bett und sicherte die Waffe.
»Jetzt entladen. Nehmen Sie vorsichtig die Kugel heraus.«
Während Roscoe begann, die Pistole zu entladen, löste William sein porte-épée und legte den Säbel mit der Pistole auf einen Tisch. Um sein schmerzendes Bein zu entlasten, setzte er sich in den nächstbesten Sessel und lockerte den Stiefelriemen. Darüber entging ihnen, dass Quinn heraufgekommen war.
Quinn ging bis zur Zimmermitte und erstarrte einen Atemzug lang, als er den Toten erblickte. Fassungslos fuhr er zu den beiden Männern herum.
»Was haben Sie getan?« Er sah die Pistole in Roscoes Händen. »Sie hatten mir Ihr Wort gegeben, Roscoe!«, stieß er heftig hervor. »Sie haben gesagt, Sie würden ihn beschützen, und jetzt ist er tot!«
»Halten Sie sich zurück, Mr. Quinn«, versetzte William scharf. »Mr. Roscoe wird Ihnen später erklären, was passiert ist.«
Doch Roscoe erwiderte nicht weniger heftig: »Ich habe das nicht gewollt, Gabriel! Es blieb mir keine andere Wahl, er hat versucht, mich umzubringen.«
»Das ist nicht wahr, Sie lügen!«, schrie Quinn. »Heute Morgen hab ich den Captain gesehen, es ging ihm sehr gut, ich habe doch mit ihm gesprochen …«
»Das war nicht Algernon! Es war der andere, der Zwilling. Ich habe es zu spät bemerkt, erst als er mich angriff.«
»Aber Sie haben behauptet, Sie könnten ihn beherrschen. Sie haben gesagt, Sie hätten es im Griff, Lieutenant …«
»Wie sollte ich wissen, dass es so furchtbar würde?«
Quinn kam ein unseliger Gedanke. »Nein, ich glaube Ihnen nicht. Ich denke, Sie beide haben das gemeinsam geplant.« Er wandte sich zornig gegen William: »Sie, Colonel, haben ihn hergeschickt, er sollte Ihnen helfen, den Captain zu töten. Wie hatten
Weitere Kostenlose Bücher