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Die Plantage: Roman (German Edition)

Die Plantage: Roman (German Edition)

Titel: Die Plantage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Tarley
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Verachtung hatte er ihm bislang eine nur abstrakte Existenz eingeräumt, hatte ihn in zweifelhaften Verhältnissen sehen wollen – wider besseres Wissen, denn er hatte von Reeds Wohlstand gehört. Umso mehr überraschte ihn die kühle Harmonie, die das Herrenhaus von Hollow Park in seiner architektonischen Ausgewogenheit prägte und die William mit seiner Vorstellung von Reeds Persönlichkeit unvereinbar erschien. Er hielt kurz inne, ließ die atemberaubende Perspektive der Halle auf sich wirken, den weiten Luftraum über zwei Etagen mit einer Kuppel, in der ein wasserklares, gläsernes Auge das Sonnenlicht brach.
    Zu seiner Orientierung ging er um die Säulenhalle herum: Hinter den acht geschlossenen Flügeltüren der ersten Etage mussten die Gesellschaftsräume liegen. Zwei Treppenaufgänge führten auf eine offene Galerie und zu den Zimmern der zweiten Etage, darüber lag eine weitere geschlossene Galerie zur obersten Etage. Am Ende seines Rundgangs sah er sich plötzlich dem schwarzen Wächter gegenüber. Wie eine Statue aus ägyptischem Diorit, die Hände flach auf den Knien, den Blick vor sich gerichtet, saß er auf einer Bank zwischen den Treppenaufgängen.
    »Du solltest Mr. Reed meine Ankunft melden. Warum hast du es nicht getan?«
    Der Mougadou schwieg.
    William fragte schärfer: »Wo finde ich deinen Herrn?«
    Wieder ließ der Schwarze keine Regung erkennen.
    William besann sich und sagte:»Also gut. Wo ist Mr. Roscoe?«
    Allem Anschein nach war die Erbitterung des schwarzen Dieners über den Kreolen größer als seine Beherrschung. Er hob den Kopf, sah hinauf zur ersten Galerie. William folgte seinem Blick und nickte.Die Türen zur Galerie waren geschlossen bis auf eine. Aus dem Raum dahinter war in Abständen ein schwaches Klopfen zu hören, tock … tock. William schob die Türe auf. Vor ihm lag das Schlafzimmer des Hausherrn, er sah ein breites Bett, Kommoden und Sessel, den Durchgang zur Ankleide und zum Badezimmer. Die Vorhänge waren zugezogen und dämpften das grelle Mittagslicht.
    Das Klopfen kam vom Bett. Ein Pistolenlauf stieß gegen den Bettrahmen, die Waffe, eine von Williams Duellpistolen, lag in der Hand von Oliver Roscoe. Er saß gegen das hohe Kopfteil gelehnt auf dem Bett, mit angewinkeltem Arm hielt er die Pistole so in der rechten Hand, dass ihr Lauf auf seiner Schulter auflag. Dann und wann, durch eine Drehung des Handgelenks, ließ er das kühle Metall an seinem Hals hinaufgleiten. Wenn die Waffe durch ihr Eigengewicht herabsank, stieß der Lauf gegen den Rahmen des Kopfteils, tock … tock.
    Neben Roscoe auf dem Bett lag Algernon Reed, im grauseidenen Hausmantel auf dem Rücken ausgestreckt, die Arme ausgebreitet und die Handflächen geöffnet. Er lag mit geschlossenen Augen da, es sah aus, als ob er schliefe, doch er schlief nicht. Den Kopf hatte er seinem Freund zugewandt, die kurzen Patrizierlocken lagen dunkelrot um seine weiße Stirn. Blut floss dunkelrot über seine Brust und die graue Seide. Blut war überall, es färbte die Decken und das Laken und die weißen Kissen rot, so rot. Reed lag ganz still. Er war tot. Doch es sah aus, als ob er schliefe.
    William sah ihn und wusste, dass er zu spät gekommen war. Seine Rache, jener herrliche Akt bedenkenloser Gewalt, mit dem er ein machtvolles Gegengewicht setzen wollte zu seinem Unglück, konnte Reed nicht mehr erreichen. Alles war anders, als es sein sollte.
    Er ging in das Zimmer und zog die Vorhänge auf, um sich den Toten auf dem Bett genau anzusehen. Die Brust über dem Herzen klaffte von einem Einschuss, die Nase schien an derWurzel gebrochen zu sein, die Haut war ringsum blutunterlaufen wie nach einem massiven Schlag. Die feinen Züge waren dennoch unverwechselbar, und auf die dunklen Locken fiel roter Sonnenglanz wie damals, als Reed den Helm abgenommen hatte und lässig ins niedergetretene Gras warf … Roscoes Faustschläge und Tritte hatten Williams Körper übel zugerichtet. Als Roscoe genug hatte, empfand William überall Schmerz, Atmen war eine quälende Notwendigkeit, ein raues Keuchen. Seine Weichen brannten, die gequetschten Organe füllten sich mit Blut, doch verglichen mit dem, was folgte, schien ihm die Episode mit Roscoe wie eine Lappalie.
    Damals, im Licht der sinkenden Sonne, beugte Reed sich über ihn, er hielt ihm ein Jagdmesser nah vors Gesicht und lächelte unheilvoll. Erst fuhr er mit der Klinge unter Williams Hemd, durchtrennte den Stoff und band ihm mit den Fetzen die Hände hinter dem Kopf zusammen.

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