Die Plantage: Roman (German Edition)
zwischen ihm und dem Engländer abspielte. Aber was immer Ihr Mann getan hat, er wollte uns bestimmt nicht im Stich lassen. Was hätte es ihm genutzt, Spencer zu erschießen? Er hatte nicht die geringste Chance zu entkommen. Die Dragoons hätten ihn abgefangen, noch bevor er den Wald erreicht hätte. Nein, Spencer wollte mit ihm abrechnen wegen des Überfalls auf sein Munitionsdepot. Deshalb hat er ihn umgebracht. Spencer war für seine Rücksichtslosigkeit bekannt, dieser verdammte englische …«
»Bastard? Das wollten Sie doch sagen, Mr. Robert?«
Beide fuhren herum. William stand im Eingang unter dem Torbogen, von Hut und Mantel lief das Wasser herab. Ghost, mit triefender Mähne, überragte ihn dunkel.
Antonia hatte William in der letzten Zeit nur von Ferne gesehen, wenn sie abends am Fenster stand und wartete, dass er vom Plains River zurückkehrte. Nun erschrak sie bei seinem Anblick. Das lange Haar hing in nassen Strähnen um sein Gesicht, die grauen Augen waren dunkel umschattet, die Miene verschlossen.
Er führte Ghost bis zur Mitte der Stallgasse, dort blieb er stehen. »Wollen Sie wissen, ob Lorimer als der Mann gestorben ist, für den Sie ihn hielten?« Er sprach zu Joshua, aber Antonia fühlte, seine Worte galten ihr und ihrer Erinnerung an den Toten.
»Als Lorimer sich mit seiner Einheit ergab, war mir sein gesamter Besitz auf Gnade oder Ungnade verfallen«, begann er. »Meine Methoden waren bekannt, er musste sich darüber im Klaren gewesen sein, denn als er mir den Säbel übergab, flehte er mich an, Legacy zu verschonen. Er hätte sich den Atem sparen können. Wie dem auch sei, plötzlich griff er zur Pistole, als wollte er sich der Gefangennahme widersetzen. Aber ich denke nicht, dass er vorhatte zu fliehen. Wahrscheinlich glaubte er, die Strafaktion gegen Legacy verhindern zu können, wenn er michtötete. Also setzte er alles auf eine Karte – und verlor. Immerhin war er kein Feigling.«
Er entließ Ghost, der müde zu seiner Box trottete, bat Joshua, sein Pferd zu versorgen, und ging nach einer knappen Verneigung fort.
Augenblicklich fiel die Anspannung von Antonia ab. Ans Gatter gelehnt, bedachte sie seine Schilderung von Henrys Tod am Snakewater Creek. Schon einmal hatte er ihr von der Begegnung erzählt. Joshua hatte den Hergang aus seiner Sicht ganz anders dargestellt. Nun hatte sie von William eine dritte Version gehört, doch die Wahrheit war für sie immer noch nicht greifbar.
Joshua hatte Ghost abgesattelt, kam zurück und begann, das Wagenpferd zu striegeln. »Er lügt!«, stieß er zwischen den Zähnen hervor.
»Wieso glaubst du das?«
»Ihr Mann war doch nicht verrückt! Ein Berufssoldat wie Spencer war ihm allemal überlegen. In dieser Situation auf Spencer zu schießen, wäre glatter Selbstmord gewesen.«
»Seltsam, wie William über Henrys Beweggründe gesprochen hat. Es klang fast, als hätte Henry keine andere Wahl gehabt, als sein Ehrenwort zu brechen. Warum sagte er das, Joshua?«
»Zur Rettung seiner eigenen Ehre natürlich! Wenn Ihr Mann als Erster zur Waffe gegriffen hätte, dann wäre Spencer im Recht gewesen, als er ihn erschossen hat.«
Nachdenklich ging Antonia mit Grace hinaus und ritt davon. Wenn sie Gewissheit haben wollte, gab es nur einen Menschen, der ihr helfen konnte.
Die Kate war verlassen, aber der Raum noch warm vom Herdfeuer. Auf dem Tisch lag ein frisch gebackenes Maisbrot. Antonia beschloss, auf Vier Federn zu warten. Das erdige, krautige Aroma im Innern der Kate gab ihr das Gefühl, dem Wesen der Dinge hier näher zu sein als anderswo. An diesem Ort schiendas Leben selbst lebendiger, kraftvoller, wirksamer zu werden. Schon als Kind war sie gerne hierhergekommen, hatte Vier Federn geholfen, die Beeren, Kräuter und Rinden, die sie zur Herstellung ihrer Arzneien brauchte, zu verlesen, auszupressen, zu zerkleinern und zu mischen. Wenn sie so beschäftigt waren, erzählte die Indianerin von der Zeit ihrer Wanderungen.
Nachdem sie ihren Stamm und ihre Familie verloren hatte, war sie jahrelang durchs Land gezogen, vom Lowcountry bis zu den Bergketten des Blue Ridge und auf immer neuen Wegen zurück zum Meer. Traf sie auf Leute ihres Volkes, erlernte sie deren Heilweisen, die mit der Verdrängung der Stämme durch die weißen Siedler allmählich verloren gingen. Die Siedler waren harte, geradlinige Menschen. Aber sie verachteten die Indianer und teilten unter sich das Land auf, das den Göttern gehörte. Vier Federn wurde von ihnen nur wegen ihrer
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