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Die Poison Diaries

Die Poison Diaries

Titel: Die Poison Diaries Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maryrose Wood
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Grund fragte, lachte er nur und sagte: »Ich weiß auch nicht, vielleicht haben sie sich gestritten.« Aber ich habe schnell begriffen, dass ich seinen Worten vertrauen kann, und die Arbeit geht mir dank seiner Hilfe schnell und freudig von der Hand.
    Wenn wir spazieren gehen, lenkt er seine Schritte weit vom Hause weg. Wir gehen, bis er – aus keinem mir ersichtlichen Grund – verkündet, dass es Zeit ist, anzuhalten. Dann legt er sich auf den Rücken auf den Boden und lauscht – den Vögeln, nehme ich an, oder dem Rauschen des Windes durch die Blätter. Ganze Nachmittage verbringen wir auf diese Weise.
    Heute ist es nicht anders. Wir liegen da, ganz nah nebeneinander, aber ohne uns zu berühren, und irgendwie fühlt sich mein Herz übervoll und gleichzeitig so leicht wie die Sommerluft an.
    »Du musst mich für verrückt halten«, sagt er, dreht sich auf die Seite und schaut mich an.
    »Warum sollte ich das?«
    Er antwortet nicht gleich, aber die Erwähnung von Verrücktheit erinnert mich an die merkwürdige Geschichte, die jener schreckliche MrPratt erzählte, als er Weed zu uns brachte. »Ich habe keine Sekunde lang an die Anschuldigungen von MrPratt geglaubt, Weed«, sage ich. »Ich hoffe doch, dass du das weißt. Ich habe keine Ahnung, was in dem Irrenhaus passiert ist, aber selbst ein Blinder kann sehen, dass Tobias Pratt alles andere als ein ehrenwerter Mann ist.«
    Weed lächelt. »Ich meinte bloß, dass es verrückt erscheinen muss, so lange auf dem Boden zu liegen und zu lauschen.«
    »Oh!« Ich erröte vor Verlegenheit, weil ich ihn so gründlich missverstanden habe. »Ich finde es auch schön, hier zu liegen. Es ist so friedlich.«
    »Und die Musik«, murmelt er und legt sich wieder auf den Rücken, wendet sein Gesicht dem Himmel zu. »Der Wind im Gras macht eine so wundervolle Musik.«
    »Ich werde für dich singen«, sage ich aus einer Laune heraus. Wenn jemand anderer außer Weed anwesend wäre, wäre mir so etwas nie in den Sinn gekommen, denn ich kenne nur wenige Lieder. Aber es gibt eine alte Ballade, die Mutter mir immer vorgesungen hat, und ich glaube, ich kann mich an das meiste davon erinnern.
    »Das wäre schön«, sagt Weed und schließt die Augen.
    Ich stütze mich auf einen Ellbogen, hole tief Luft und beginne. Es ist ein seltsames, trauriges Lied über einen jungen Schäfer, der schlafend auf der Wiese liegt und von einem vorbeigehenden Mädchen wachgeküsst wird, damit seine Herde nicht davonläuft. Aber sie kann ihn nicht erwecken, denn der junge Schäfer schläft gar nicht. Er ist tot.
    Der letzte Ton meines Gesangs verklingt.
    Der Augenblick ist unbeschreiblich zart; das Gefühl erregt und erschreckt mich zugleich. Weed dreht den Kopf und schaut mich an. Seine Augen sind von Licht erfüllt und strahlen in dem gleichen lebendigen Grün wie das Gras, in dem wir liegen.
    Ich neige mich ihm zu, nicht als Resultat gründlicher Überlegung, sondern weil mein Körper eine Art eigenen Willen entwickelt hat. Ich sehne mich danach, seine Wange zu streicheln, aber ich wage es nicht. Stattdessen pflücke ich einen gelbköpfigen Löwenzahnstängel aus dem hohen Gras neben seiner Schulter und überreiche ihn Weed mit gespielter Ernsthaftigkeit.
    »Sag mir, mein junger Schäfer, wie hat dir mein Lied gefallen?«
    Beim Anblick der Blume springt er abrupt auf, wie in großem Zorn. Er ballt die Fäuste vor seinem Gesicht und wendet sich ab.
    »Genug«, sagt er mit einer Stimme voller Bitterkeit und Schmerz. »Gehen wir heim.«
    ***
    Weeds merkwürdige Trauer hängt zwischen uns wie Nebel. Auf dem Heimweg frage ich mehr als einmal, ob ihn das Lied wütend gemacht hat oder die Blume oder die Erinnerung an Tobias Pratt. Er behauptet, es ginge ihm gut. Ich flehe ihn an, mir zu sagen, ob ich etwas falsch gemacht habe. Wieder erklärt er, dass dies nicht der Fall sei. Aber er bringt auch kein Lächeln zustande und will mich nicht anschauen. Oh, es ist, als ob mir ein Messer ins Herz gestoßen würde!
    Als wir zu Hause ankommen, packt Vater gerade eilig seine Arzneitasche.
    »Gerade kam ein Bote mit einer dringenden Nachricht. Ich muss umgehend fort.« Er klingt sehr verärgert.
    »Gehst du wieder nach London?«, platze ich heraus.
    Vater wirft irgendwelche Gegenstände in seinen Beutel. »Nein. Der Patient ist hier, in Hulne Park, in der Sägemühle. Es gab einen Unfall – der Fuß eines Mannes ist schlimm verletzt. Diese Narren glauben, ich könnte ihn retten, indem ich dem Ärmsten ein paar

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