Die Poison Diaries
seinen Arm um meine Schultern legt. Auf diese Weise kommen wir langsam voran. Mit jedem Schritt, den wir uns von dem Tor entfernen, gewinnt er mehr von seiner Kraft zurück.
Es schmerzt mich, ihn leiden zu sehen, aber gleichzeitig versetzt mich sein Körper, der sich an mich lehnt, in Erregung. Noch lange, nachdem wir das Haus betreten haben und Weed wieder fast der Alte ist, scheinen sein Gewicht und seine Wärme noch immer auf meiner Haut zu ruhen.
***
Ich bringe Weed frisches Wasser, das er gierig trinkt und das seine Lebensgeister wieder zu wecken scheint. Dann bereite ich schnell das Abendessen zu.
Als das Essen fertig ist, rufe ich Vater aus seinem Arbeitszimmer. Ich bin aufgeregt, denn heute Abend werden wir drei zum ersten Mal gemeinsam eine Mahlzeit einnehmen.
»Es ist schön, dich frisch und munter zu sehen, Weed«, sagt Vater, nachdem ich die Kerzen angezündet und meinen Platz eingenommen habe.
»Meine Zeit unter der Erde ist vorbei«, erwidert Weed einfach. »Ich bin ans Licht gekommen.«
Vater nickt anerkennend. »Du kannst dich im Vorratsraum einrichten. Dort wirst du von jetzt an schlafen.«
»Und dort gibt es auch ein Fenster«, werfe ich ein. »Jeden Morgen wirst du von der Sonne geweckt werden.«
Weed schaut mich voller Dankbarkeit an. »Danke für alles, was mir beschert wurde«, sagt er mit lauter, kräftiger Stimme. Vater hebt eine Augenbraue, enthält sich aber jeglichen Kommentars. Ich lege uns allen die Speisen auf die Teller.
Wir essen. Vater und ich nehmen unsere Mahlzeiten oft schweigend ein, aber mit Weed am Tisch verursacht mit der Mangel an Konversation ein unangenehmes Gefühl. Vater scheint es ebenso zu gehen.
»Nun«, sagt er. »Wie habt ihr beiden diesen herrlichen Tag verbracht?«
Weeds Mund ist schon voll, und daher antworte ich für uns beide: »Wir sind spazieren gegangen, Vater. Bis zu dem Steinkreis und zurück.«
»Ich vermute, dass Jessamine dir die Bedeutung des Steinkreises erklärt hat.«
Weed nickt.
»Wir haben gesehen, wie ein Hermelin ein Kaninchen tötete«, sage ich. »Es war widerlich. Und das Kaninchen hat diese schrecklichen Töne von sich gegeben …«
Vater scheint mich nicht zu hören. Seine ganze Aufmerksamkeit liegt auf Weed. »Es muss schön gewesen zu sein, an die frische Luft zu kommen, nach all diesen Tagen im Keller. Hast du irgendwelche interessanten Pflanzen gesehen?«
»Sie sind alle interessant«, sagt Weed höflich.
Vater lächelt. »Du hast recht. Und was hältst du von unseren Gärten?«
Ohne zu zögern, antwortet Weed: »Die Gärten sind gut gepflegt. Die Erde ist schwarz und voller Würmer. Die Rettiche wurden genau zur rechten Zeit gepflanzt; sie werden gut gedeihen. Der Goldmelisse würde es besser gehen, wenn man sie zurückschneiden und in zwei – nein, besser drei – Pflanzen teilen würde. Dann dürfte man eine wahre Blütenpracht erwarten, denke ich. Und die Ringelblumen brauchen mehr Sonne und sollten umgesetzt werden.«
Ich kann vor Überraschung kaum schlucken. Es ist unheimlich, dass Weed auf unserem Spaziergang all diese Details wahrgenommen hat.
Mit der Gabel schiebt Vater das Essen auf seinem Teller hin und her. »Es scheint, dass MrPratt zumindest in einem recht hatte: Du kennst dich bestens mit Pflanzen aus«, sagt er schließlich. »Wart ihr zufällig auch in der Nähe des Apothekergartens?«
»Der Garten, der den nördlichen Hügel verpestet?«, vergewissert sich Weed ruhig und steckt sich ein Stück Lammfleisch in den Mund. »Der nach Tod stinkt?«
Ich keuche leise auf. Ich weiß, dass Vater diese unhöflichen Worte übel aufnehmen wird. Sollte ich das plötzliche Unwohlsein erwähnen, unter dem Weed litt, als wir uns dem verschlossenen Tor näherten? Wird Weed davon erzählen? Aber Vater starrt Weed bloß an. Wenn er wütend ist, verbirgt er es gut. Er nickt bestätigend.
»Dieser Garten ist verschlossen, Sir.« Weeds Stimme ist freundlich, aber es liegt auch eine Spur Härte darin.
»Ja, er ist verschlossen«, sagt mein Vater nach einer Weile. »Und zwar aus gutem Grund. Obwohl ich zugeben muss, dass es mich interessieren würde, ob dir die Pflanzen, die innerhalb seiner Mauern wachsen, vertraut sind. Über die Jahre habe ich viele ungewöhnliche Exemplare gesammelt.«
Hat Vater seine Meinung geändert?
Meine Angst wird von plötzlicher Hoffnung abgelöst.
Will er uns am Ende doch den Apothekergarten zeigen?
Weed blickt Vater fest an. Seine grünen Augen sind so trübe wie ein schlammiger
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