Die Poison Diaries
möchte, wie viel Strychnin nötig ist, um einen erwachsenen Mann zu töten – oder wie viele Stunden eine bestimmte Dosis Schierling braucht, um das Opfer zu lähmen, nicht zu töten – dann gibt es dafür nur eine Möglichkeit.
Wo sind wir, Oleander? Wer sind diese Menschen?
Es muss dich nicht kümmern, wer sie sind. Niemanden kümmert das. Ein Irrenhaus ist der richtige Ort, wenn man Menschen sucht, die niemand vermisst. Und die Irrenhäuser in London quellen über! Die Stadt allein reicht aus, um einen Mann um den Verstand zu bringen.
Wir sind also in London?
Warum dieses entsetzte Gesicht, Jessamine? Du wolltest doch immer nach London, nicht wahr?
Ich dachte, Vater würde mich eines Tages mitnehmen – er fährt oft dorthin … oft … er sagt mir nicht, was er dort tut … Oh, nein, bei meiner Seele! Wollen Sie mich das glauben machen? Dass mein Vater Experimente mit Verrückten durchführt, um etwas über die Giftpflanzen zu erfahren, die in seinem Garten wachsen?
Er ist ein kluger Mann. Und das wäre ein kluger Plan.
Es wäre Mord!
Leben und Tod, Tod und Leben – könnt ihr fleischlichen Wesen an nichts anderes denken? Schau dir die Pflanzen an: In jedem Winter sterben wir und ziehen uns unter die Erde zurück. Wir vertrocknen und vergehen; unsere Blätter zerfallen zu Asche und werden davongeweht. Und trotzdem wirst du kein Wort der Klage von uns hören. Dankbar kehren wir zu der Erde zurück, aus der wir kamen, und sterben unseren kleinen, vorübergehenden Tod, denn wir wissen, dass wir wiederkehren, auf die eine oder andere Art und Weise.
Die Pflanzen sterben auch nicht so wie wir. Für Sie und Ihresgleichen ist der Tod nicht einmal Wirklichkeit!
Der Tod ist wirklich, daran gibt es keinen Zweifel. Aber er ist auch eine Illusion. Ein interessantes Paradoxon, nicht wahr? Warum weinst du, meine Hübsche?
Mein Vater … ein Mörder, ein Giftmörder! Das … das kann doch nicht wahr sein …
Wenn du nicht daran glauben würdest, würdest du nicht weinen. Noch so ein interessantes Paradoxon. Aber weine, weine so viel du willst. Wir müssen zurückfliegen, den Weg zurück, den wir kamen, und wir werden uns beeilen müssen, denn die Zeit wird knapp … und da gibt es noch etwas, das du sehen musst …
Da sind wir schon. Arme Kreatur. Öffne die Augen, Jessamine. Siehst du? Die Ähnlichkeit ist verblüffend. Sie sieht genauso aus wie du. Das arme Mädchen; sie muss schrecklich leiden. Sieh nur, wie sie schreit und darum bettelt, dass man ihrer Qual ein Ende bereitet. Hast du denn auf all deine Fragen schon eine Antwort bekommen?
Oleander, sagen Sie mir die Wahrheit: Wer ist sie?
Die Wahrheit? Ich glaube nicht, dass das klug ist, aber wenn du darauf bestehst: Das bist du, meine Liebe. Es scheint dir schlechter zu gehen. Dein hohlköpfiger Verlobter hat es augenscheinlich nicht eilig, dich von deiner wie auch immer gearteten Krankheit zu heilen.
Hören Sie auf damit! Ich kann es nicht mehr ertragen! Bitte …
Du begreifst also, dass es besser ist, diesen zerbrechlichen, sterblichen Körper aufzugeben? Stell dir nur vor, darin gefangen zu sein! Dieses Durcheinander, dieser Lärm. Dieser Schmerz! Hier geht es dir doch viel besser. Hier bei mir. Bleib bei mir, Jessamine. Bleib … Wie? Keine Antwort? Aber du denkst über mein Angebot nach. Ich sehe, dass es dich reizt … Ich höre seine Verlockung im ängstlichen Flattern deines Herzens, das so schnell schlägt wie Vogelschwingen …
Es scheint, als werde ich bald tot sein. Sie werden sich eine neue Gefährtin suchen müssen.
Vielleicht. Vielleicht wirst du auch deine Meinung ändern … Oje. Deine unfähigen Kurpfuscher haben ganz offensichtlich eine neue, ekelhafte Tinktur zusammengebraut, die sie dir jetzt in den Rachen flößen wollen. Komm mit, das solltest du nicht mit ansehen … kein schöner Anblick …
***
Klebrig vor Blut stolpere ich in den Garten.
»Schweigrohr? Seidelbast? Ich bin wieder da.«
Stille. Ich spüre lediglich den kühlen, silbrigen Nebel, der mich mit seinen hauchzarten Fingern umfängt.
»Mondsame? Rittersporn? Gebt mir Antwort! Ich habe die Aufgaben gelöst, die ihr mir gestellt habt. Jetzt gebt mir das Heilmittel!« Ich brülle meine Verzweiflung heraus. Meine Seele ist verloren. Ich habe gemordet, gemordet und gemordet, und kein Akt der Gnade, kein noch so großes Maß an Barmherzigkeit kann mich jetzt noch erlösen.
»Meine Untertanen, welche du Gifte zu nennen pflegst, sind nicht
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