Die Poison Diaries
seinem widerlichen Klang alles unter sich begräbt. »Nehmen Sie doch ein wenig Gift! Ha ha ha ha ha!«
***
MrLuxton weicht mir nicht von der Seite, während ich mit zitternden Händen die Tinktur zwischen Jessamines Lippen träufele. Als der Trank durch ihre Kehle rinnt, erschauert sie und keucht auf, als ob dies ihr letzter Atemzug sei. Sie versinkt in eine bläulich blasse Stille, die man leicht mit dem Tod verwechseln könnte.
»Faszinierend«, bemerkt MrLuxton und betrachtet die leblose Gestalt seiner Tochter. »Hat sie Schmerzen? Das möchte ich zu gerne wissen. Kann sie uns hören oder sehen, oder liegt sie in einem geheimnisvollen, todesähnlichen Schlaf, in dem es kein Gefühl für Zeit und Raum gibt?«
»Ich hoffe nicht, dass sie Schmerzen leidet«, sage ich leise. Mein Herz will mir brechen, wenn ich sie anschaue.
Werde ich jemals wieder ihre Stimme hören?
, frage ich mich. Werden wir je wieder zusammen durch die Felder und Wälder spazieren? Und ihre Lippen – so voller Leben waren sie einst! Wie still und kalt sie jetzt sind.
Ich ziehe die Decken fest um ihren Körper. Ihre Brust bewegt sich kaum. Der Puls, den ich an ihrem Handgelenk ertaste, schlägt langsam und so schwach, dass er kaum spürbar ist. Ich wusste nichts von Liebe, ehe ich Jessamine traf, und jetzt frage ich mich: Ist es immer so? Ein Augenblick voller Glückseligkeit, aufgelöst in einem Meer aus Trauer?
Ich würde alles tun, um sie zu retten, egal wie niederträchtig oder grausam es auch sein mag. Das weiß ich jetzt. Die Giftpflanzen haben mich das gelehrt. Für Jessamines Liebe tat ich das Einzige, was mich meine Geliebte schwören ließ, nicht zu tun. Und jetzt liegt sie vor mir, dem Tode näher als dem Leben.
»Du musst es noch einmal versuchen, Weed«, drängt MrLuxton. »Du musst wieder in den Garten gehen. Du musst alles in Erfahrung bringen, was du kannst, damit wir sie von dieser verfluchten, namenlosen Krankheit heilen können …«
Er redet und redet, immer mit diesem drängenden Unterton, während er in seinem Apothekerbuch herumkritzelt. Wenn ich auf diese leblose Maske niederblicke, die sich über das Antlitz meiner geliebten Jessamine gelegt hat, dann fürchte ich, dass ich alles falsch gemacht habe. Ich hätte niemals auf die Giftpflanzen hören oder sie um Hilfe bitten sollen.
Aber jetzt ist es zu spät. Ich habe keine andere Wahl: Ich muss zu Ende bringen, was ich angefangen habe, weil ich sie aus eigener Hilfe nie wieder aus diesem Dämmerzustand erwecken könnte. Nur die Gifte wissen, wie das zu bewerkstelligen ist. Jessamines Leben mag in meiner Hand gelegen haben. Doch das ist vergangen. Jetzt liegt es im Würgegriff der Giftpflanzen.
***
Willkommen zurück, Jessamine. Es war sehr still und einsam hier ohne dich. Wie geht es dir? Fühlst du dich ausgeruht?
Nein. Ich bin sehr schwach, sehr müde. Alles ist langsam und fremd. Als ob ich aus Blei bestünde.
Armes, krankes Kind. Du bist so bleich und dem Tod so nah – sieh doch, wie das Licht durch dich hindurchscheint. Mein durchsichtiges Mädchen. Es steht dir ausgezeichnet.
Oleander, haben Sie mich vergiftet? Ist das der Grund, warum ich so krank bin?
Ich herrsche über die Gifte. Ich verabreiche sie nicht.
Aber ich war schon früher krank, und doch ist dies die erste Krankheit, die mich in Ihr Reich gebracht hat. Heißt das nicht, dass Gift im Spiel ist?
Wie klug! Ganz der Vater. Ich bin beeindruckt.
Was fehlt mir denn? Sie müssen es doch wissen!
Oh ja, ich weiß es.
Wollen Sie es mir nicht sagen? Oder besser noch Weed, damit er mich retten kann!
Es ist nicht an mir, ihm die Wahrheit zu sagen. Wenn es dein Wunsch ist, dann werde ich dich an einen Ort bringen, wo es Antworten auf all deine Fragen gibt.
Wo ist das?
Weit weg von hier. An einem Ort, an dem zu sein du dir schon immer gewünscht hast.
Es wird mir dort doch nichts passieren, oder?
Nicht mehr und nicht weniger als an jedem anderen Ort, mein Liebchen …
***
Vorsicht, Weed!
Sei auf der Hut!
Pass auf …
Gib acht …
Das warnende Flüstern der Pflanzen verfolgt mich überallhin. Die Blumen klagen und heulen in den höchsten Tönen. Die Hecken donnern im Befehlston:
Kehr um!
Die Bäume im Wald singen in böser Vorahnung einen dumpfen Chor:
Gib acht … gib acht … gib acht …
Aber ich darf nicht auf sie hören. Ich werde nicht auf sie hören. Ich husche durch das Tor in den Giftgarten – es abzuschließen ist nun müßig, denn das Böse ist jetzt
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