Die Polizistin
Na-türlich würden sie wieder einmal von ihr enttäuscht sein. Aber was hätte sie denn sonst tun können? Joe hatte sie zum Flughafen gebracht und dafür gesorgt, dass sie ins richtige Flugzeug einstieg. Die Haynes hatten am anderen Ende des Flugs gewartet. Sie hatte sich wie ein kleines Kind gefühlt, das einen Babysitter brauchte.
»Verdammt, das alles ist deine Schuld, Tiger«, rief sie zum hundertsten Mal.
Dies war ihr Kampf, nicht seiner. Nur weil sie ein paar Mal Sex gehabt hatten, hieß das noch lange nicht, dass er sich zu ihrem Beschützer aufschwingen konnte.
Unruhig rutschte sie auf dem Plastiksitz herum. Okay, es war mehr als Sex, was sie mit Joe erlebt hatte. Der Mann war ihr unter die Haut gegangen. Sie hatte starke Gefühle für ihn, aber sie konnte nicht zulassen, dass sie jetzt damit begann, ihre Gefühle für ihn zu analysieren. Wichtig war im Moment nur einer – Manuel Santos.
Verdammt, sie musste diejenige sein, die es diesem Bastard heimzahlte.
Joe durfte ihr das nicht wegnehmen. Sie würde das verhindern müssen. Rache war ihr Recht.
Sie schob die vom Wind zerzausten Haare zurück und rieb sich den schmerzenden Kopf. Sie konnte nicht glauben, dass sie sich ihm anvertraut hatte. Noch vor einer Woche hatte sie in seiner Gegenwart kaum ein Wort herausbekommen. Was geschah mit ihr? Seit Jahren hatte sie nicht mehr über ihr früheres Leben gesprochen, aber bei ihm schien es ganz natürlich zu sein, über die schmerzlichste Zeit nach dem Tod ihrer Eltern zu reden.
»Du hast es schon viel zu lange in dich rein gefres-sen«, murmelte sie.
Joe glaubte, aus Sorge um sie müsste er sie aus der Schusslinie holen, aber es war der falsche Weg gewesen, sie einfach wegzuschicken.
Okay, sie hatte einige Fehler begangen und viele Regeln gebrochen. Aber dass er ihr jetzt den Fall aus den Händen genommen hatte, war wie ein Schlag ins Gesicht gewesen. Sie hatte das Recht, Santos zu stellen, und niemand würde ihr das nehmen können.
»Es ist nur eine Frage der Zeit, Manuel Santos, nur eine Frage der Zeit.«
Sie schaute auf ihre Uhr. Sie wusste, dass sie die Strecke durchfahren konnte. Körperlich war das kein Problem. Aufgedreht, wie sie war, würde sie sowieso nicht schlafen können. Trotzdem musste sie einen wachen Verstand behalten.
Sie trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad und überlegte ihre Optionen, dann entschied sie, noch ein paar Stunden zu fahren und erst später zu übernachten. Sie musste bar bezahlen, wie auch fürs Auto, aber das war kein Problem. In Roberts Haus hatte sie ihre ersten Ersparnisse deponiert gehabt, die ihr nun wertvolle Dienste erwiesen. Hätte sie mit der Kreditkarte zahlen müssen, wären Robert und Joe ihr auf die Spur gekommen.
Sie war sicher, dass diese Aktion ihren Job kosten würde, aber das war sie ihrer toten Schwester schuldig. »Für dich, Shanille«, flüsterte sie.
Sie hatte genug von Sonny und seiner Idiotenbande.
Noch lagen drei Bundesstaaten vor ihr, die es zu durchqueren galt, aber das würde ihr Zeit zum Nachdenken geben.
»Ich komme, du Mörder«, sagte sie, die Zähne zu-sammengepresst. »Deine letzte Stunde wird bald schlagen, Manuel Santos.«
»Hallo, Schätzchen.«
Shanna stand in der Tür des schäbigen Motelzimmers, in dem sie sich auch mit Sonny und Tommy getroffen hatte. »Hallo, Wiesel«, sagte sie und musste gegen ihren Widerwillen ankämpfen, den sie für diesen Mann empfand. »Oder ist es dir lieber, wenn ich dich Edwin nenne?«
»Du kannst mich nennen, wie du willst, Baby«, sagte er mit seiner krächzenden Stimme, die ihr eine Gänsehaut bescherte.
Er trat zur Seite, damit sie eintreten konnte. Sie schlüpfte vorbei und strich dabei mit den Brüsten gegen ihn. Innerlich schüttelte es sie, aber sie zwang sich, das zu ignorieren. Sie hatte einen Plan, und nichts sollte sie davon abbringen.
»Wir haben uns schon gefragt, wo du geblieben bist«, sagte Wiesel. »Zu Hause warst du jedenfalls nicht.«
»Nein?« Sie drehte sich um und sah dem Mann ins Gesicht. Seine knopfartigen Augen waren auch auf ihr Gesicht gerichtet. Sie widerstand dem Impuls, zurück-zuweichen. Sie war noch nie allein mit ihm gewesen, im Gegenteil, sie hatte alles versucht, um das zu vermeiden. Er hatte irgendwas an sich – etwas Dunkles, Gefährliches, Einschüchterndes. Ihre Nerven flatterten, aber die Erinnerung an ihre Schwester ließ sie stark bleiben. »Lässt du mich überwachen, Wiesel?«
»Das weißt du doch.«
Das leise Flüstern seiner Stimme
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