Die populaersten Irrtuemer ueber das lernen
Blickes ein Publikum begeistern konnte, war mehr als eindrucksvoll. Wer als Schüler Theater gespielt hat, wird sich bestimmt
gerne daran erinnern. Dort hat er vielleicht auch gelernt, dass eine gelungene Aufführung nicht nur von den darstellenden Künstlern abhängt. Zum Erfolg
tragen auch jene bei, die die Dekorationen zimmern und bemalen, die Kostüme schneidern oder die Bühnentechnik übernehmen. Selbstverständlich ist es
sinnvoll, wenn Schulen mehr bieten als Mathematik, Sprachen und Naturwissenschaften. Doch ist es wirklich nötig, derlei Aktivitäten mit zweifelhaften
Aussichten auf bessere Noten zu rechtfertigen? (Mein früheres Engagement in der Theatergruppe hatte jedenfalls nachweislich keine positiven Auswirkungen
im Fach Mathematik!) Zurzeit stehen kognitive Leistungen sehr hoch im Kurs. Künstlerisches Arbeiten hatdagegen anscheinend an Wert
eingebüßt, was bedauerlich ist, uns aber nicht dazu verleiten sollte, es mit den falschen Argumenten zu verteidigen.
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Wer malt, tanzt oder Theater spielt, ist nicht schlauer als andere. Wer in Mathe auf einer Fünf steht, dem
ist im konkreten Fall mit Nachhilfe sicher mehr geholfen als mit einem Malkurs. Generell gilt gleichwohl: Schule sollte in Familien nicht das alles
beherrschende Thema sein. Kinder, die sich wohl fühlen und Zeit für eigene Interessen haben, sind ausgeglichener und grundsätzlich weniger anfällig für
Stress. Ein gesundes Selbstwertgefühl hilft in der Schule obendrein. Es ist wichtig, dass Kinder erfahren, dass sie etwas gut können. Es muss nicht
Schauspiel sein. Handwerkliche Fähigkeiten werden beispielsweise zu Unrecht gering geschätzt. Woran Kinder besonderen Spaß haben und wofür sie Talent
besitzen, müssen sie selbst herausfinden. Eltern können dabei helfen.
Befriedigend und der Entwicklung der Persönlichkeit förderlich kann übrigens auch sein, zu wissen, dass man
gebraucht wird. Es ist auffallend, dass Kinder, die daheim mit anpacken müssen, überaus selbstständig, selbstbewusst und lösungsorientiert sind. Auch das
sind keine schlechten Voraussetzungen für Schulerfolg, oder?
Irrtum: Latein schult das logische Denken
Tacitus und Cicero liegen voll im Trend. Der Altphilologe Wilfried Stroh hat mit „Latein ist tot, es lebe Latein“ einen Bestseller
geschrieben. Das Buch verkaufte sich mehr als 100 000 Mal. Im berühmtesten Internat der Welt, in Hogwarts, muss Latein auf dem Stundenplan
stehen. Jedenfalls zaubern Harry Potter und seine Klassenkameraden mittels lateinischer Formeln. Seit sich Hollywood-Ikone Angelina Jolie den Satz „Quod
me nutrit me destruit“ („Was mich nährt, zerstört mich“) auf den Bauch tätowieren ließ, hat auch der Letzte begriffen, dass Latein gerade irgendwie sexy
ist. An deutschen Gymnasien boomt das Fach. Mehr als 800 000 Schüler büffelten im vergangenen Jahr den Ablativus absolutus. Tendenz steigend. Schon hält
die Lust auf Latein die Kultusministerien in Atem, denn die Nachfrage nach qualifiziertem Lehr-Personal übersteigt bei weitem das Angebot.
Sollten Schüler Latein lernen? Viele Eltern sind unsicher. Lohnt die Mühe, eine Sprache zu sprechen, mit der man – außer im Vatikan
vermutlich – nirgendwo auf der Welt auch nur ein Zimmer bestellen kann? Freilich, antworten die Latein-Befürworter, denn:
Latein ist Voraussetzung für viele Studiengänge (z. B. Philosophie, Germanistik, Geschichte, Englisch, Französisch),
Latein hilft, Fremdwörter zu verstehen,
Latein bildet,
Latein vermittelt geschichtlichen Weitblick,
Latein erleichtert das Verständnis für Grammatik,
Lateiner sind beim Erwerb weiterer Sprachen im Vorteil,
Latein schult das logische Denken, das Abstraktions- und Kombinationsvermögen sowie analytische Fähigkeiten.
Lassen wir die ersten vier Argumente an dieser Stelle einmal uneingeschränkt gelten und widmen uns nur den letzten drei:
Wer Latein lernt, muss mit langen, komplizierten Sätzen umgehen. Ein Hauptwort und das dazugehörige Eigenschaftswort können ein paar
Zeilen auseinander stehen, weil sich dazwischen verschiedene Nebensätze befinden. Ein Schüler, der einen lateinischen Satz übersetzen will, muss genau und
methodisch exakt vorgehen. Da klingt es zunächst nicht abwegig, dass das Sezieren von Sätzen analytische und logische Fähigkeiten trainieren
soll. Kognitionsforscherin Elsbeth Stern und der frühere Latein-Lehrer Ludwig Haag wollten es genau wissen. Sie testeten bayerische Schüler anhand
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