Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
Vom Netzwerk:
Dann besäße der Reisende, ja, genau dieser hier, der heute in diesem Körper steckt, neben seiner eigenen Erinnerung die eines Körpers, der nicht mehr ist. Der Reisende würde erwidern, dass das alles Ammenmärchen sind, dass ein totes Gehirn ein ausgelöschtes Gehirn ist, dass Erinnerungen nicht durch die Luft fliegen und sehen, wer am meisten aufnehmen kann, dass selbst das kollektive Unbewusste aus Informationen aus dem Bewusstsein besteht etc. etc. Aber auch wenn er genau weiß, was er mit »nein« beantworten muss, fällt ihm nichts ein, wozu er »ja« sagen kann. Ohne Wenn und Aber jedoch kann er sagen, dass er São João de Tarouca schon einmal gesehen hat: Vielleicht hat er davon geträumt, so wie er schon von so vielen Landschaften geträumt hat, für die er bis heute keine reale Entsprechung gefunden hat, wahrscheinlich weil er einfach noch nicht überall gewesen ist. Das zu behaupten ist dasselbe, als wolle man sagen, dass der Traum, die freie Phantasie, der unbewusste Ablauf von Bildern im Gehirn die Außenwelt vorhersagen können. Der Reisende begibt sich damit auf gefährliches Terrain. Jedenfalls kann es gut sein, dass ein Artilleriesoldat, der Kanonen putzt, von einem Explosionsmotor träumt: hier der Zylinder, dort der Kolben.
    Der Reisende ist weit abgeschweift, aber das ließ sich nicht vermeiden. Denn leider hatte er auch die Zeit dazu. Das Kirchentor ist verschlossen, und der Junge, der den Schlüssel holen geht, hat es nicht besonders eilig. Der Reisende versucht sich von der obsessiven Überzeugung abzulenken, diesen Ort schon einmal gesehen zu haben, und unterhält sich mit einem zwölfjährigen Mädchen, das ihm Gesellschaft leistet. Er erfährt etwas über Diebstahlversuche, die sich hier zutrugen, und vom Alarm, den man geschlagen hat, um die Einwohner zusammenzurufen und den Dieb zu fassen, packende und wahre Geschichten sind das. Zum ersten Mal auf seiner langen Reise trifft er in einem Ort den Dorftrottel, er bittet um Geld, und der Reisende gibt ihm etwas. Das Mädchen sagt, dass er es für Wein ausgebe, dass er seine Mutter schlage, die ihn dann rauswerfe und dass es schon immer so gewesen sei. Der Reisende ist stets auf der Suche nach Kunst, nach all den Bildern und schön gearbeiteten Steinen, und plötzlich legt ihm das Leben die Hand auf den Arm und sagt: »Vergiss mich nicht.« Und der Reisende antwortet verlegen: »Aber das bist auch du.« Darauf das Leben: »Ja, aber vergiss den Dorftrottel nicht.« Da kommt der Junge mit dem Schlüssel. Alle gehen hinein, der Reisende, das zwölfjährige Mädchen und noch drei andere Kinder. Der Reisende befürchtet schon, dass es ein großes Durcheinander wird, aber er irrt sich. Die Kinder folgen ihm geschlossen wie Messdiener, vielleicht bewachen sie ihn auch nur und werden jeden Moment an der Glocke ziehen, um die Leute aus dem Dorf zu rufen. Wie auch immer, nie hat er höflichere Kinder als die von São João de Tarouca erlebt.
    An Orten wie diesen kommen und gehen die Zeitalter wie die Gezeiten. Was in der Romanik gebaut wurde, wurde in der Gotik erweitert, dann hinterließ die Renaissance ihre Spuren, wenn sie denn stattfand, der Barock legte ein paar Dinge zur Seite und machte hier und da etwas kaputt, kurz, wo die höchste Welle aufschlug, hinterließ sie ihre Marke, vorausgesetzt, sie war kräftig und verführerisch genug. Hier haben wir das Gestühl und das vergoldete Schnitzwerk, die Azulejos, auf denen die Geschichte der Gründung des Klosters dargestellt ist, die Gemälde, die entweder von Gaspar Vaz, Vasco Fernandes oder Cristóvão de Figueiredo stammen. Hier haben wir einen Engel aus dem 14. Jahrhundert und eine bemalte Jungfrau Maria aus Granit mit dem Jesuskind auf dem Schoß aus derselben Zeit. Und in der Sakristei stehen kleine Holzfiguren, die von der Zeit und durch ihre Benutzung abgegriffen sind.
    Die Gezeiten kamen und hinterließen ihr Strandgut. Der Reisende sieht sich alles an in den drei hellen Schiffen, er hört die Wellen der Zeit zurückfließen, die Stimmen der Menschen, die mit ihr kamen, das Schlagen der Steine, das Zersägen und Nageln des Holzes. Er reist auf dem hohen Kamm der Jahrhunderte, und da es diesmal an ihm ist, am Strand zu landen, bleibt er erstaunt vor dem Sarkophag von Dom Pedro de Barcelos stehen. Die Statue auf der gewaltigen Truhe könnte die eines riesigen heiligen Christophorus sein, der es leid war, die Welt auf seinen Schultern zu tragen, und sich zum Ausruhen hingelegt hat. Das Grab

Weitere Kostenlose Bücher