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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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des unehelichen Sohnes von Dom Dinis besteht aus grobgearbeitetem Granit und ist eines der beeindruckendsten Dinge, die der Reisende gesehen und empfunden hat: Darinnen muss ein menschlicher Körper wie ein Boot im Meer oder ein Vogel am Himmel sein. An einer Seite des Sarkophags ist auf einem Flachrelief die Szene einer Wildschweinjagd zu sehen. Eine merkwürdige Illustration. Wie alle Adligen seiner Zeit hat Dom Pedro de Barcelos an Jagden teilgenommen, ist über Berge und durch Täler geritten und hat der Hundemeute den Fraß vorgeworfen. Aber der Graf hat sich hier in der Beira, wo er den letzten Teil seines Lebens verbrachte, mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Er hat das Livro de Linhagens zusammengestellt, eine Liedersammlung vielleicht, wahrscheinlich eine Gesamtchronik Spaniens, und statt des Gelehrten, den der Reisende vorzufinden gedacht hatte, sieht er hier einen grausamen Riesen und blutrünstigen Jäger. Hier gibt es genügend Material für eine Dissertation über Inkongruenzen, aber während der Finger schon erhoben ist, um auf die erste zu zeigen, bemerkt der Reisende, dass er bei sich selbst anfangen muss: Eine schlechte Welt ist das, in der der Dichter nur Dichter sein darf und jeder von uns nicht mehr als das, was er zu sein scheint. Umso mehr war es Dom Pedro de Barcelos’ gutes Recht, unter den Erinnerungen an sein Leben diese schönen Morgenstunden mitnehmen zu wollen, in denen er auf seinen Besitzungen bei Paços de Lalim Wildschweine jagte.
    Der Reisende will weiterfahren. Er will dem zwölfjährigen Mädchen, das ihn begleitet hat, etwas Geld geben, aber sie lehnt ab und sagt, er solle es den Kleinen geben. Dieser Tag ist voller Lektionen. Der Reisende bedankt sich bei ihr wie bei einer Erwachsenen, sieht sich noch einmal die Umgebung an, um sicherzugehen, dass er sie wirklich schon einmal gesehen hat, und da taucht plötzlich der erste Zweifel auf: Nein, dieses Mädchen hat er noch nie gesehen.
    Als er nach Moimenta da Beira kommt, ist es eigentlich zu spät, um Mittagessen zu bekommen, aber man hat Erbarmen mit ihm. Er isst ein exzellentes Steak mit Zwiebeln, ein Gericht, das heutzutage hierzulande nicht mehr besonders gut zubereitet wird, und wenn er sich sonst im Ort nichts ansieht, dann liegt es daran, dass er noch voller Eindrücke aus São João de Tarouca ist. Neue sammelt er später auf dem Weg von Moimenta nach São Pedro das Águias. Der richtige Ausdruck wäre blendende Schönheit, doch das ist noch zu wenig. Mit Worten lassen sich diese Berge und Terrassen nicht beschreiben, die milde Transparenz der Luft und, wenn sich die Straße hinter Paço dem Rio Távora nähert, die steilen, bewaldeten Hänge, aus denen Felsspitzen hervorragen. In Granjinha dann ist der Reisende ratlos, denn bei dem Namen São Pedro das Águias hatte er an einen Berg gedacht, auf dem Adler leben, stattdessen geht es hier immer weiter bergab, durch kleine Ortschaften, der Reisende ist betört von so viel Schönheit, und als er endlich anhält, hört er in der großen Stille das Rauschen des unsichtbaren Wassers auf den Steinen, und dort ist endlich die Capela de São Pedro, jetzt weiß er auch, was es mit den Adlern auf sich hat, denn nur sie wären den schwindelerregend hohen Felsen gewachsen, die sich zu beiden Seiten der Kapelle erheben.
    Der Reisende nähert sich der Kapelle. Das erste Rätsel ist die Frage, wie es jemand geschafft hat, an diesem verlassenen Ort, fernab der restlichen Welt, zwischen diesen steilen Felsen ein Kirchlein zu bauen. Ja, heute führt hier eine Straße entlang, aber im 12. Jahrhundert, wie hat es da wohl ausgesehen? Und wie hat man die Steine transportiert? Oder hat man die genommen, die aus dem Fels geschlagen wurden, um eine Plattform für das Fundament zu graben? Und das ist die zweite Frage: Was hat Dom Gosendo Alvariz, falls denn wirklich er der Gründer war, dazu gebracht, die Kapelle so anzulegen, dass zwischen Felswand und Fassade kaum mehr Platz ist als für einen kurzen Stützbogen, von dem der Reisende aber auch nicht weiß, was er überhaupt stützen soll, ob die Kapelle, die ihn nicht zu brauchen scheint, oder die senkrechte Wand, die in acht Jahrhunderten unbeschadet blieb? War der damalige Brauch, die Fassade einer Kirche nach Westen hin auszurichten, so stark? São Pedro das Águias ist ein Juwel, an dem die Zeit von allen Seiten genagt hat. Auch Menschen haben hier Schaden angerichtet, aber der große Zerstörer war tatsächlich die Zeit, der Wind, der

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