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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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durch diese Schlucht pfeifen muss, der peitschende Regen und die glühende Sonne. Noch zweihundert Jahre, und diese geschundene Ruine ist nichts weiter als ein Haufen loser Steine mit unlesbaren Inschriften, unkenntlich gewordenen Formen und verwaschenen Reliefen, die niemand mehr entschlüsseln wird. Der Reisende hat schon einiges gesehen in dieser Hinsicht: Rates, Rio Mau, Real und andere in diesem Buch bereits genannte Orte. São Pedro das Águias löst in ihm eine Woge der Zärtlichkeit aus, den Wunsch, diese Mauern zu umarmen, das Gesicht gegen sie zu drücken und so zu verharren, als könnte das Fleisch den Stein gegen die Zeit verteidigen.
    Es ist noch Nachmittag, er hat Zeit. Aber der Reisende beschließt, dass es für heute genug ist. Kein Bild soll sich über das von São Pedro das Águias legen. Wenn er könnte, würde er den ganzen Weg bis Guarda, wo er übernachten wird, mit geschlossenen Augen zurücklegen. Er hat sie offen gehalten, aber er kann sich beim besten Willen an nichts erinnern. Noch ein Rätsel, das es zu lösen gilt.

Weit oben wohnen die Berge
    Der Reisende fährt ins Gebirge, nämlich in die Serra da Estrela. Das Wetter ist umgeschlagen. Gestern noch war der Himmel klar, und die Sonne schien, und heute ist alles mit niedrighängenden Wolken bedeckt, was den Wetterexperten zufolge den ganzen Tag so bleibt. Das soll den Reisenden aber nicht von seinen Plänen abbringen. Wenn er in Trás-os-Montes bei dichtem Nebel und strömendem Regen unterwegs war, dann wird ihn doch hier, wo noch dazu Frühling ist, kein leicht bedeckter Himmel stören. Sicher besteht das Risiko, dass er das Gebirge, wenn er dort ist, gar nicht sieht, aber er vertraut darauf, dass einer jener Gebirgsgötter, die in Lusitanien verehrt wurden und jetzt ihre Ruhe gefunden haben, wie der berühmte Endovélico, aus seinem tiefen Jahrhundertschlaf erwacht, den Himmel einen Spalt weit aufreißt und dem Reisenden sein ehemaliges Reich zeigt.
    Der Reisende entschließt sich gegen den bequemen Weg über Belmonte, wenn schon ins Gebirge, dann ist es besser, gleich damit anzufangen. Also fährt er über Vale de Estrela bis Valhelhas, den Horizont immer in Sicht. Es sei denn, der Weg verengt sich, was nicht selten der Fall ist. In dieser Gegend ist die Straße menschenleer. Und die Wolken hängen wirklich tief. Da oben, hinter der Kurve, steht eine Reihe Pinien, die wie abgeschnitten wirken, die Kronen sind kaum zu sehen, und wenn der Reisende nicht aufpasst, kommt gleich eine Wolke durchs Fenster herein. Aber der Gebirgsgott fühlt sich anscheinend bei seiner Ehre gepackt, und als der Reisende die Kurve erreicht, ist keine Wolke mehr da und die Sicht frei. Viel hat er jedoch nicht davon. Die Wolke, der Dunst oder dichte Nebel wurde nur ein Stück weitergeschoben und wartet jetzt am nächsten Felsen auf ihn, um sich ihm in den Weg zu werfen und die Entfernungen verschwimmen zu lassen. Der Reisende hegt erste Zweifel daran, ob es sich lohnt, die ganze Runde um das Gebirge zu fahren, so wie er es sich ausgemalt hatte, über Sabugueiro, Seia, São Romão und Lagoa Comprida bis nach Torre, und dann hinunter durch Penhas da Saúde nach Covilhã. Als er nach Manteigas kommt, erkundigt er sich. »Davon raten wir Ihnen ab. Gefährlich ist es nicht, aber vom Gebirge werden Sie dort nicht viel sehen. Die Sichtweite auf der Straße reicht gerade mal zum Autofahren. Die Landschaft zu sehen ist praktisch unmöglich. « Der Reisende bedankt sich wohlerzogen für die Information – das gebieten die Regeln der Höflichkeit, dass man sich für etwas bedankt, auch wenn es einem nicht gefällt – und zieht seine Karten und Reiseführer zurate. Er rechnet Entfernungen aus, achtet auf die Höhenunterschiede und beschließt, am Rio Zêzere entlangzufahren, aber zuerst zum Poço do Inferno, der in Sichtweite liegt und nicht vom Nebel verdeckt ist, und dann weiter hinauf nach Penhas da Saúde. Wenn die Macht der Götter versagt, muss man sehen, wie man das Beste daraus macht.
    Wenn dies der Poço do Inferno ist, wenn so also ein Brunnen in der Hölle aussieht, dann müssen wir ein paar von unseren überkommenen Vorstellungen ernsthaft überdenken. Natürlich hat das tosende Wasser, das von weit oben hinunterstürzt, eine gewisse Ähnlichkeit mit den, wie es allgemein heißt, in der Hölle zu erwartenden Unannehmlichkeiten, aber wenn dort nicht dichterer Nebel herrscht als der, der hier an den Felsen hängt, dann sieht der Reisende keinen Grund, warum eine

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