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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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verdammte Seele nicht ewig dem funkelnden Wasserfall zusehen sollte, vielleicht in der simplen Hoffnung, dass ein Mal im Jahrhundert ein Sonnenstrahl das schäumende Wasser aufleuchten lässt und den Kopf des Betrachters liebkost, sozusagen zur Entschuldigung. Und wenn der gestraften Seele ganz verziehen sein sollte, möge man ihr im Himmel denselben Brunnen hinstellen und lediglich den Namen ändern. Mehr ist gar nicht nötig. Der Reisende fährt die Straße hinauf, die dem Fluss folgt. Er fährt langsam. Er wollte an diesem Tag einmal um das ganze Gebirge herumfahren und schafft nicht einmal die Hälfte. Jede Reise hat ihre Widrigkeiten. Und auch ihre Leckerbissen, wie zum Beispiel in Nave de Santo António anzukommen, und plötzlich ist der Himmel nach oben hin ganz aufgerissen. Die Götter fegen ihre himmlischen Behausungen nämlich immer gut aus und lassen die Menschen hier unten blind umherirren, wo sie doch nur ein bisschen von der Landschaft sehen wollen. Der Reisende ist verärgert. Er fährt Richtung Covilhã, taucht ein weiteres Mal in die Wolken ein und beschließt, das Beste daraus zu machen: Niemals zuvor hat ein Reisender diesen unglaublich leichten, schwebenden weißen Massen mehr Aufmerksamkeit geschenkt, und bestimmt hat auch keiner zuvor am Straßenrand angehalten, nur um zu sehen, wie es ist, in sie einzutauchen, oder ist den Hang hinuntergelaufen, hat sich unter einen Baum gesetzt und auf das unsichtbare Tal, das große weiße Meer gestarrt. Die Philosophie dazu lautet: Alles ist eine Reise. Das, was man sieht, und das, was sich versteckt, das, was man berührt, und das, was man erahnt, das Tosen des Wasserfalls und diese leichte Schläfrigkeit, die die Berge umhüllt. Der Reisende will nicht mehr klagen. Zufrieden fährt er weiter, von weit oben, wo er herkommt, wieder hinunter nach Covilhã. Die Berge wohnen weit oben, und heute haben sie keinen Besuch bekommen.

Das Volk der Steine
    In seiner Jugend besaß der Reisende eine Begabung, die er später verlor: Er konnte fliegen. Da ihn aber diese Gabe grundlegend vom Rest der Menschheit unterschied, bewahrte er sie sich für die geheimen Stunden des Schlafes auf. Mitten in der Nacht flog er aus dem Fenster hinaus, über die Häuser und Gärten, und da es sich um einen Zauberflug handelte, war es trotz nächtlicher Stunde taghell, womit der einzig mögliche Nachteil dieser Art zu reisen behoben war. All die Jahre musste der Reisende warten, um seine verlorene Begabung wiederzuerlangen, vielleicht für nur eine Nacht, und dann auch nur dank einer späten Wiedergutmachung Endovélicos, der, da es ihm am Tage nicht gelungen war, die Wolken zu vertreiben, dies zur großen Freude des Reisenden im Traum tat. Als er aufwachte, konnte sich der Reisende daran erinnern, über die Serra da Estrela geflogen zu sein, aber da Träume ja bekanntermaßen flüchtig sind, zieht er es vor, nicht darüber zu sprechen, was er gesehen hat, um sich die Schmach zu ersparen, wenn ihm niemand glaubt.
    Er öffnet das Fenster, das heißt, er zieht die Gardine zur Seite, wischt das Kondenswasser ab, das sich über Nacht auf der Scheibe angesammelt hat, und blickt hinaus. Die Berge sind noch immer von Wolken bedeckt. Leider kann der Reisende nicht die Probe aufs Exempel machen, ob die Wirklichkeit mit der seiner Träume übereinstimmt. Enttäuscht beschließt er also, heute in nicht ganz so hohen Gefilden unterwegs zu sein, und beginnt mit Covilhã, das auf mittlerer Höhe liegt. Er sieht sich die Igreja de São Francisco an, die einen wunderschönen Portikus, sonst aber nicht viel zu bieten hat, außer vielleicht den zwei Türen mit Spitzbögen und den Grabkapellen aus dem 16. Jahrhundert. Die liegenden Statuen sind in Ordnung, wenn auch ein bisschen nichtssagend, aber das Ganze profitiert vom Halbdunkel, das hier herrscht. Von dort geht der Reisende zur Capela de São Martinho, die er nur von außen betrachten kann. Sie ist frisch renoviert, und die alten Steine unterscheiden sich in ihrer von Sonne und Wind gegerbten Farbe noch zu sehr von den neuen. Die Kapelle ist romanisch und von extremer Schlichtheit, ein Ort für Gläubige ohne große ästhetische Ansprüche. Aber der Gestalter des kleinen Fensters über dem Portal kannte sich mit der Bedeutung von Abständen aus und auch damit, wie man sie nutzt.
    Von Covilhã fährt der Reisende nach Capinha. Dafür gibt es keinen besonderen Grund, außer der römischen Straße, einer Nebenstrecke der Straße von Egitânia nach

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