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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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dem, was sie einst war, ist wenig oder nichts übrig geblieben. Die Phantasie hilft nicht viel weiter, wenn wir uns vorstellen wollen, was sich hier abgespielt hat. Selbst die Figur des heiligen Georg zu Pferd, eine bewunderungswürdige Statue aus dem 14. Jahrhundert, ist mit anderen Schlachten beschäftigt: Immer wieder muss der Drache getötet werden, immer wieder erwacht der Drache zum Leben, wann wird der heilige Georg einsehen, dass nur Menschen Drachen töten können?
    Der Reisende fährt über abfallendes Gelände in Richtung Meer. Auf dem Weg dorthin liegt die Ortschaft Cós. Es ist Nationalfeiertag – der 25. April –, zwar hat der Reisende beobachtet, dass alle Feiertage mit Freuden begangen werden, doch hier sind die Leute draußen auf den Straßen und feiern das Datum und ihre eigene Freude besonders ausdrücklich. In Cós liegt das Kloster Santa Maria oder was von ihm übrig ist. In einer Ortschaft so fern der üblichen Wege erwartet man kein derart grandioses und künstlerisch reiches Bauwerk. Farbe und Komposition der Kirchendecke mit ihren bemalten Kassetten sind großartig, und die Sakristei, an den Wänden ganz mit blauweißen Azulejos ausgekleidet, darauf Szenen aus dem Leben des heiligen Bernard de Clairvaux, ist prächtig. Cós zählt zu den angenehmen Überraschungen der Reise.
    Eine Überraschung ist auch Maiorga, nicht wegen spezieller Bauwerke, sondern weil man dort gern musiziert. Der Reisende ist praktisch nur durch den Ort gefahren, doch auch so sieht er an mindestens drei Gebäuden Hinweise, dass dort eine Kapelle, ein Orchester oder eine Musikgruppe ansässig sind. Und eins der Gebäude hat, als genügte ihm nicht die erklärte Liebe zur Musik, einen wunderschönen manuelinischen Eingang (möge Apollo ihn erhalten); später erfährt der Reisende, dass es ursprünglich eine Kapelle war, die Ermida do Espirito Santo, und danach das Armenspital. Das alte Gebäude ist seiner Tradition treu geblieben: Erst hat man sich dort um die Seele gekümmert, dann um den Körper und nun um sinnlichen Genuss.
    Wozu ist der Reisende nach Nazaré gefahren? Wozu ist er in all die Orte und an all die Stätten gefahren, die er besucht? Ansehen und weiterfahren, weiterfahren und ansehen. Er hat dem schon vorgebaut, hat schon erklärt, dass Reisen nicht darin besteht, sondern dass man sich eine Weile aufhalten muss, aber das kann er nicht ewig wiederholen. Dennoch, hier muss er dasselbe Lied noch einmal anstimmen, damit ihm Vergebung sicher ist; er hätte eine Weile bleiben müssen und zusehen, wie die Fischer aufs Meer fahren und vom Meer zurückkehren, gebe Gott, sie alle; er hätte Farbe und Brandung der Wellen kennenlernen müssen; hätte Boote an Land ziehen müssen; mit denen schreien, die schreien, und weinen mit denen, die weinen; er hätte den Fang begutachten müssen und den Lohn, das Leben und das Sterben. Dann wäre er einer aus Nazaré, wie vorher einer aus Póvoa de Varzim oder aus Ovar. So ist er lediglich ein Reisender, der an einem Feiertag vorbeikommt, kein Mensch auf dem Meer, einem friedlichen Meer, und eine so strahlende Sonne, dass sie blendet, viele Menschen gehen auf der Uferpromenade spazieren oder sitzen auf der Mauer, und dazu eine brummende Autoprozession. In solchen Momenten wird der Reisende melancholisch, fühlt sich vom Leben abgeschnitten, wie hinter einer Glasscheibe, die zwar durchsichtig ist, aber verzerrt. Deshalb beschließt er, zum Sítio hinaufzufahren, von dort oben auf das Häusermeer zu schauen, das sich nach Süden hin dehnt, auf die sanft geschwungene Bucht, das ständig Schaum herantragende Meer, den ihn ständig aufsaugenden Strand. Auch hier sind viele Menschen, die die Aussicht genießen. Es wäre sicherlich reizvoll, zu sammeln, was jeder Einzelne sieht, die verschiedenen Meere, verschiedenen Nazarés zu vergleichen und dann zu dem Schluss zu kommen, dass es noch immer nicht genug Augen waren. Der Reisende hat das sichere Gefühl, dass dem Leser hiermit wenig gedient ist, und bittet um Vergebung.
    Mit Alcobaça endet der Tag. Die Tour war nicht lang, aber intensiv, wahrscheinlich zu intensiv. In Alcobaça stellt sich unter anderen Vorzeichen die alte Frage, was zuerst da war, die Henne oder das Ei. Anders gesagt, hat Alcobaça seinen Namen erhalten, weil die Flüsse dort Alcoa und Baça heißen, oder hat man, weil die Flüsse noch nicht benannt waren, beschlossen, seinen Namen aufzuteilen, du kriegst dies, und du kriegst das. Fachleute sagen, der Name

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