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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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Ausführung, die geistige Zurückgezogenheit, die man dort findet, im Gegensatz zur prunkvollen Meisterhaftigkeit des königlichen Kreuzgangs. Als Ganzes gesehen ist der Afonso-Kreuzgang für den Reisenden von größerer Perfektion. Doch akzeptiert er, wenn man ihm widerspricht.
    Als er den Kapitelsaal betritt, muss er an die Passage bei Alexandre Herculano denken, die ihn als Kind in seiner Schulzeit so beeindruckt hat: Der alte Baumeister Afonso Domingues sitzt unter dem Schlussstein des Gewölbes, die Arbeiter entfernen die Stützbalken und das Gerüst, voller Angst, die Konstruktion könnte einstürzen, und von draußen, durch die Tür und die Seitenfenster, lugen ebenso ängstlich die übrigen Arbeiter, darunter auch ein paar Edelleute, »Stürzt sie ein oder stürzt sie nicht ein?«, manch einer sieht das Unheil garantiert kommen, und dann, nachdem einige Zeit vergangen und der große Steinhimmel intakt geblieben war, die Worte des Afonso Domingues: »Das Gewölbe ist nicht eingestürzt und wird nicht einstürzen.« Der Reisende hat das Gefühl, dass sein Lehrer damals die Sache oberflächlich betrachtet hat, nur als eine Lektion wie viele andere, doch an Ort und Stelle sieht es anders aus. Afonso Domingues hatte sich in der Überzeugung hingesetzt, dass seine Berechnungen richtig waren, doch konnte er keineswegs sicher sein, dass die Sache gut ausgehen würde – der Mensch kann nichts mit absoluter Gewissheit vorhersehen. Dennoch verbürgte er sich selbst für das Werk vieler anderer. Er gewann, und wir mit ihm. Es ist ein wunderbarer Raum, Schauplatz eines anderen Kampfes, jenes, der starre Steine in ein am Ende ausgewogenes Kräftespiel verwandelt. Der Reisende stellt sich unter den Schlussstein des Gewölbes, dorthin, wo Afonso Domingues saß. Viele haben das schon getan und sich damit der Herausforderung des Architekten selbst gestellt. Das ist unser Vertrauensbeweis. Zwei lebende Soldaten stehen da und behüten einen toten Soldaten. Ein toter Baumeister behütet die Soldaten und den Reisenden. Es muss einen Weg geben, uns alle gegenseitig zu behüten.
    An der Außenseite des Kapitelsaals entlang geht der Reisende zum Pantheon von Dom Duarte, das blödsinnigerweise, doch unabänderlich, die Unvollendeten Kapellen genannt wird. Zum Glück für uns ist das Pantheon nicht fertig gebaut worden. Wir hätten eine Kuppel über dem Kopf, und der Anblick böte keine Überraschungen. So aber haben wir ein Versprechen, das ein Versprechen bleibt, auch wenn wir wissen, dass es nie eingelöst wird, und dennoch sind wir damit ebenso zufrieden, wenn nicht noch zufriedener als mit einem vollendeten Werk. Und es ist schön, dass es Frühling ist. Im Freien über den Kapellen fliegen, vor Lebendigkeit strotzend, die Schwalben, schreien, als wären sie wütend, dabei sind sie nur aufgeregt wegen der Sonne, der Jagd auf Insekten oder vielleicht wegen der herrlichen Schönheit des Gemäuers, das wie in erstarrtem Flug seine sieben Arme emporreckt, um den Himmel zu stützen. Möge man dem Reisenden gelegentliche lyrische, wenn auch nicht sehr phantasievolle Anwandlungen gestatten. Manchmal muss man sich etwas von der Seele reden, weiß nur nicht recht, wie.
    Dann sieht sich der Reisende in Ruhe das ganze Kloster an. Er betrachtet das Portal mit seinen Archivolten, bevölkert von Engeln, Propheten, Königen, Heiligen, Märtyrern, ein jeder auf seinem Platz in der Hierarchie; das Bogenfeld mit Christus und den Evangelisten; die Figuren der Apostel auf symbolischen Tragsteinen, die reinsten Meisterwerke. Der Reisende tritt zurück, breitet die Arme aus, um möglichst alles zu umfangen, und geht, verblüfft über seine Kühnheit, zufrieden weiter.
    Ein naiver Reisender, der glaubt, Wörter hätten nur eine einzige Bedeutung, wird vermuten, wenn er den Schauplatz der Schlacht von Aljubarrota sehen will, müsse er in dem gleichnamigen Dorf danach suchen. Ein großer Irrtum. Aljubarrota liegt vierzehn Kilometer vom Kloster entfernt, doch ist das nicht der eigentliche Schauplatz der Ereignisse. Die entscheidende Schlacht wurde in São Jorge geschlagen, fünf Kilometer von Batalha entfernt. Viel zu sehen gibt es nicht, so wie auf keinem Schlachtfeld, wenn die Knochen der Gefallenen und die Waffen der Besiegten nicht erhalten sind. Im Kapitelsaal des Klosters gibt es einen unbekannten Soldaten, hier sind alle unbekannt. Aber der Reisende besucht dort die Kapelle São Jorge, die Nuno Álvares Pereira zum Dank hat errichten lassen. Von

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