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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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Tischplatte dreht sich auf ihrer Achse, der Reisende versteht nicht, warum, und denkt, das sei eine Macke, wie sie nach vielen Jahren entstehen. Worauf ihm freundlich erklärt wird, das sei keine Macke, sondern die Machart: Die Platte drehte sich, damit alle, die am Tisch saßen, im Protokollbuch unterschreiben konnten, ohne sich erheben zu müssen. Der Urahn des Fließbandes befindet sich also hier, in der Misericórdia von Lourinhã.
    Wieder fährt der Reisende ans Meer, an den Strand Santa Rita, wo hoch über der Felsenküste ein grässliches Hotel aufragt. Wäre hier das Kap der Stürme, dann hätte Vasco da Gama sich vor diesem Beton-Adamastor so sehr gefürchtet, dass er es nicht zu umsegeln vermocht hätte. Und es ist ein Jammer bei dieser schönen Landschaft von Vimeiro bis hierher, die Straße folgt dem Flusslauf des Alcabrichel und spielt mit ihm zwischen Baumgruppen Versteck. Der Reisende bestellt in einem trübsinnigen Lokal ein Erfrischungsgetränk – es ist lauwarm. Das Meer indes entgeht solcher Beschimpfung, das Wasser ist bestimmt kalt, hätte der Reisende es nicht so eilig, würde er es vielleicht wagen, sich die Füße benetzen zu lassen.
    Auf der Weiterfahrt nach Süden macht sich der Reisende Sorgen. Das Bild des Hotels lässt ihn nicht los. Die Felsklippe sieht fraglos stark aus, doch wird sie das auf Dauer aushalten? Die Frage hat nichts mit dem Gewicht des Gebäudes zu tun, sondern damit, dass jeder ehrwürdige Felsen das Recht hat, physisch und moralisch unerträgliche Belastungen von seinen geschundenen Schultern abzuwerfen. Dann denkt der Reisende daran, wohin er gerade unterwegs ist, und seufzt vor Erleichterung, allerdings auch resigniert. Auf halber Strecke liegt noch Ericeira, wo er sich mit Freuden die bemalte Kassettendecke der Pfarrkirche ansehen wird, doch gleich da vorn, so riesig, dass man es aus dieser Entfernung sieht und fast die Öffnungen in der Fassade zählen kann, steht das Kloster von Mafra. Der Reisende kann nicht ausweichen. Er fährt wie hypnotisiert, kann nicht mehr denken. Und als er endlich aussteigt und sieht, welche Entfernung er noch bis zum Vestibül der Kirche, der Freitreppe, dem Vorplatz zurücklegen muss, wird er fast ohnmächtig. Dann aber denkt er an Fernão Mendes Pinto, der so ferne Länder bereist hat, so manches Mal zu Fuß und auf miserablen Wegen, und mit diesem guten Vorbild im Kopf hängt er sich den Rucksack um und macht sich heroisch auf.
    Das Kloster von Mafra ist groß. Groß ist das Kloster von Mafra. Das Große an Mafra ist das Kloster. Drei Möglichkeiten, es zu sagen, vielleicht gibt es noch ein paar mehr, und alle lassen sich auf die einfache Aussage reduzieren: Das Kloster von Mafra ist groß. Man könnte meinen, der Reisende mache sich einen Jux, dabei weiß er nur nicht, wie er diese über 200 Meter breite Fassade, die Gesamtfläche von 40 000 Quadratmetern, die 4500 Türen und Fenster, die 880 Räume, die 62 Meter hohen Türme, die Erkertürme und die Kuppel der Basilika erfassen soll. Der Reisende sucht ungeduldig nach einem Fremdenführer und klammert sich an ihn wie ein Schiffbrüchiger kurz vorm Ertrinken. Diese Führer sind das vermutlich längst gewohnt. Sie sind geduldig, erheben nicht die Stimme, führen die Besucher sehr behutsam herum, denn sie wissen, welchen schweren Traumata diese sich hier aussetzen. Sie mindern die Zahl der Räume, Türen und Fenster, überlassen ganze Flügel der Stille, und an Informationen geben sie nur, was offensichtlich ist und weder das Gehirn überfordert noch die Sensibilität abstumpfen lässt. Der Reisende sieht den Vorraum der Kirche mit den aus Italien stammenden Statuen – es mögen Meisterwerke sein, wer ist der Reisende, das in Frage zu stellen, doch sie lassen ihn vollkommen kalt. Und die Kirche, ein riesiger Raum, aber falsch proportioniert, kann ihn auch nicht für sich erwärmen.
    Auf der bisherigen Reise hat es an Heiligen nicht gemangelt, doch insgesamt waren es vielleicht nicht so viele, wie es hier gibt. In Dorfkirchen und anderen, größeren, wird ein halbes Dutzend Heilige verehrt, und etliche davon hat der Reisende gefeiert und gepriesen, manchmal sogar die ihnen nachgesagten Wunder geglaubt. Vor allem hat er gesehen, dass sie mit Liebe geschaffen wurden. Der Reisende hat sich so manches Mal von wenig kunstvoll gearbeiteten Bildnissen anrühren lassen, viele künstlerisch vollendete Werke haben ihn so tief beeindruckt, dass ihm Schauer über den Rücken liefen, doch dieser

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