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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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heilige Bartholomäus aus Stein, der seine abgezogene Haut zeigt, wirkt auf ihn undefinierbar abstoßend. Die Religion, für die die Heiligen in der Kirche von Mafra stehen, ist eine Religion von Frömmlern, nicht von Gläubigen.
    Die Worte des Führers summen wie Wespen. Er weiß aus Erfahrung, wie er die Besucher einlullen, sie betäuben kann. Der Reisende in seiner Verwirrung ist ihm dankbar. Inzwischen haben sie die Kirche verlassen, steigen endlose Treppen hinauf, der Reisende erinnert sich vage (wie hält der Führer das aus?), das Schlafzimmer der Königin Dona Maria I. in kostbarem Empire gesehen zu haben, den Jagdtrophäensalon, den Audienzsalon, die Krankenstation der Mönche, die Küche, diesen Salon, jenen Salon, Salon, Salon. Und hier ist die Bibliothek: 83 Meter lang, Bücher, die man vom Eingang her kaum erkennen kann und erst recht nicht anfassen, um zu sehen, welche Geschichten sie erzählen, der Führer gibt nach kurzer Zeit das Zeichen zum Weitergehen. Noch einmal zeigt er die Kirche, dieses Mal von einem hohen Fenster aus, und der Reisende weicht nur deshalb nicht zurück, weil er ihn nicht enttäuschen möchte. Der Führer sieht blass aus, und da begreift der Reisende, dass dieser Mann aus dem gleichen Lehm ist wie alle Sterblichen, Höhenangst hat, unter Schlafstörungen leidet und Magenbeschwerden hat. Man ist nicht ungestraft Führer im Kloster von Mafra.
    Der Reisende ist hinausgegangen. Der Himmel strahlt blau, Gott sei es gedankt, die Sonne scheint, und es geht sogar ein sanft streichelndes Lüftchen. Nach und nach kehrt der Reisende ins Leben zurück. Und um sich endgültig zu erholen und nicht über Mafra zu verzweifeln, geht er die Kirche Santo André besichtigen, das älteste Opfer des Klosters. Es ist ein großer Bau vom Ende des 13. oder Anfang des 14. Jahrhunderts von klarer Schönheit, die romanischen und gotischen Elemente verbinden sich zu einem harmonischen Ganzen, das die Seele besänftigt. Die Schönheit ist also doch nicht tot.

Das gefundene Paradies
    Auf der Straße nach Ericeira fährt der Reisende zurück, und nördlich der weitesten Kurve, die der Fluss Cheleiros zieht, biegt er direkt nach Süden ab. Die Straßen hier sind ziemlich verrückt, sie haben den großen Ehrgeiz, jedes noch so kleine Dorf in der Gegend zu bedienen, nehmen aber nie den kürzesten Weg, verzetteln sich im Auf und Ab der Hügel, und wenn die Serra de Sintra in Sicht kommt, verlieren sie endgültig den Verstand. Der Reisende muss genau auf die Karte sehen, um nicht die Orientierung zu verlieren. Es wäre kein Problem, wenn die Serra sein nächstes Ziel wäre – er hat sie so direkt vor Augen, dass er jeden Weg nehmen könnte. Doch liegt hier in der Nähe ein kleines Dorf namens Janas, in dem die Kapelle São Mamede steht, mit rundem Grundriss, eine Seltenheit, und der Reisende macht den notwendigen Abstecher. Er hat es nicht bereut.
    Aus der Entfernung sieht die Kapelle eher wie ein landwirtschaftliches Gebäude aus. Sie hat einen langgezogenen, halb offenen Vorbau, in dem es sehr angenehm ist, und hinter dem Eingang (von einer Fassade kann man hier kaum sprechen) stützen dicke Pfeiler die Wände. Die Tür ist abgeschlossen, doch für einen neugierigen Reisenden tut es auch ein Fenster, selbst wenn dieses vergittert oder mit Stacheldraht geschützt ist. In der Mitte des kreisförmigen Raums bilden vier Säulen eine Art Sanktuarium mit einer brennenden Öllampe. Der Altar befindet sich an der Wand, was den Gottesdienst ein wenig schwierig gestalten dürfte. Auf der freien Fläche stehen Bankreihen, in einer Anordnung, die so gar nicht zum übrigen Raum passt. Sicherlich, da ist noch die durchgehende steinerne Bank längs der ganzen Wand. Zwar ist sie zu beiden Seiten des Hauptaltars unterbrochen, doch lässt sich daran erkennen, dass hier die Messe zwangsläufig anders zelebriert wird als üblich. Die auf der Rundbank sitzenden Gläubigen blicken zum Mittelpunkt, den die Säulen umreißen, und nicht zum Altar. Der Reisende versteht nicht, wie sich dieses mit einem Ritus in Einklang bringen lässt, nach dessen Regeln der Zelebrierende und die Gemeinde einander für wechselseitige Gesten und Worte ansehen müssen. Vielleicht ist das ein kleines Rätsel, vielleicht aber auch gar keins. Wie dem auch sei, der Reisende ist nahezu davon überzeugt, dass dort, wo heute die Ermida de São Mamede steht, in früheren Zeiten eine andere Religion und andere Riten praktiziert wurden. Es gibt genug Kirchen, die

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