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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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liegen. Der Reisende geht gern in Museen, um nichts in der Welt würde er dafür eintreten, dieses im Namen sogenannter moderner Kriterien zu schließen, doch wird er sich nie mit einer neutralen Katalogisierung abfinden, die jedes Objekt für sich nimmt, es definiert und zwischen andere Objekte einordnet und damit die Nabelschnur, die es mit dem, der es hergestellt und benutzt hat, radikal zerschneidet. Eine volkstümliche Votivgabe muss in ihr soziales, ethisches und religiöses Umfeld eingebettet sein; ein Rechen bleibt unverständlich ohne die Arbeit, für die er gemacht wurde. Neue moralische Werte und Techniken verweisen diese Dinge immer mehr in die Archäologie, und das ist nur ein weiterer Grund, an Museen andere Ansprüche zu stellen.
    Der Reisende hat davon gesprochen, dass sich eine ganze Reihe von Fragen aufgedrängt hat. Nehmen wir nur die eine: Angesichts dessen, dass die portugiesische Gesellschaft zurzeit eine so ausgeprägte Geschmackskrise erlebt (insbesondere in der Architektur und Bildhauerei, bei alltäglichen Gebrauchsgegenständen, in der Stadtentwicklung), würde es denen, die meinungsbildend und für den allgemeinen ästhetischen Verfall verantwortlich sind, nicht schaden, und den wenigen, die noch gegen den uns erstickenden Trend anzukämpfen imstande sind, ziemlich guttun, wenn sie ein paar Nachmittage im Museum der Volkskunst verbrächten, sich dort umschauten, nachdächten, diese schon fast untergegangene Welt zu verstehen versuchten und entdeckten, welcher Teil dieses Erbes in die Zukunft hinübergerettet werden muss, um unser kulturelles Überleben zu sichern.
    Der Reisende geht am Tejo entlang, welch ein Unterschied hier zu dem kleinen Wasserlauf in der Nähe von Almourol, aber wiederum fast nur ein Bach im Vergleich zu der riesigen Fläche, die sich vor Sacavém dehnt, und nach zufriedenen Blicken auf die heute nach dem 25. April benannte Brücke (vorher trug sie den Namen eines Heuchlers, der bis zum letzten Moment vorgab, nicht zu wissen, dass sie nach ihm benannt werden sollte) steigt er die Treppen am Felsen des Conde de Óbidos zum Museu de Arte Antiga hinauf. Bevor er hineingeht, genießt er den Anblick der vertäuten Boote, des geordneten Durcheinanders von Schiffsrümpfen und Masten, Schornsteinen und Kränen, Winden und Wimpeln und nimmt sich vor, wenn es dunkel ist, noch einmal zurückzukommen, um die Lichter zu genießen und zu erraten, was die metallenen Geräusche bedeuten, die mit hartem Widerhall über das dunkle Wasser schallen. Der Reisende freut sich, dass er zwanzig Sinne hat, findet aber immer noch, dass es zu wenige sind, obwohl er zum Beispiel in der Lage ist – und sich deshalb mit den fünf Sinnen begnügt, die er von Geburt an besitzt –, zu hören, was er sieht, zu sehen, was er hört, zu riechen, was er mit den Fingerspitzen tastet, und auf der Zunge das Salz zu schmecken, das er gerade in diesem Augenblick auf der von der offenen See heranrollenden Welle hört und sieht. Oberhalb des Felsens Rocha do Conde de Óbidos stehend, applaudiert er dem Leben.
    Das für ihn schönste Gemälde der Welt befindet sich in Siena in Italien. Es ist ein winziges Landschaftsbild von Ambrogio Lorenzetti, an seiner Längsseite kaum breiter als eine Hand. Aber in solchen Fragen erhebt der Reisende keinen Ausschließlichkeitsanspruch – er weiß sehr wohl, dass es noch andere schönste Bilder der Welt gibt. Das Museu da Arte Antiga zum Beispiel besitzt eines: die Painéis de São Vicente de Fora oder auch As Tentações de Santo Antão . Vielleicht auch O Martírio de São Sebastião von Gregório Lopes. Oder das Descimento da Cruz von Bernardo Martorell. Jeder Besucher hat das Recht, sich zu entscheiden und zu benennen, welches das für ihn schönste Bild der Welt ist, welches er zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort mehr als alle anderen schätzt. Dieses Museum, das eigentlich den sehr viel schöneren Namen Museu das Janelas Verdes (»Museum der Grünen Fenster«) tragen sollte, denn so heißt die Straße, in der es steht, gilt unter seinesgleichen in Europa nicht als berühmt oder besonders gut ausgestattet. Würde es jedoch vollkommen genutzt, böte es dem ästhetischen Hunger von ganz Lissabon und Umgebung reichlich Nahrung. Ohne auf die Abenteuer einzugehen, zu denen der ausländischen Malern gewidmete Teil führen würde, begnügt sich der Reisende damit, in den Räumen mit der portugiesischen Malerei des 16. Jahrhunderts zu seinem eigenen Vergnügen

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