Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
Vom Netzwerk:
die Wege der Darstellung von Mensch und Tier zu umreißen, von Landschaft, Gegenständen, realer oder erdachter Architektur, naturgetreuer oder kunstvoll abgewandelter Flora, gewöhnlicher oder höfischer Kleidung und anderer, die sich der Phantasie hingibt oder ausländische Vorbilder nachahmt.
    Aber um auf die Painéis zurückzukommen, ob sie nun von Nuno Gonçalves sind oder nicht: Sie zeigen in der oberen Reihe Porträts des portugiesischen Menschenschlags mit all seinen physiognomischen Details, und das so ausdrucksstark, dass die im Vordergrund stärker zur Geltung gebrachten Gestalten – königliche, adlige und klerikale – sie nicht verdrängen können. Es ist ein Leichtes, diese Bilder neben Bilder von heute lebenden Menschen zu halten – im ganzen Land findet man Zwillingsbrüder der hier abgebildeten Männer. Doch trotz anderer, ebenso leichter Übungen in Nationalismus, die eine solche Gegenüberstellung zur Folge hätte, haben wir in Portugal keine Möglichkeit gefunden, die äußere Ähnlichkeit auf einer tieferen Ebene sichtbar zu machen. An irgendeinem Punkt der Geschichte haben die Portugiesen verlernt, sich im Spiegel dieser Gemälde wiederzuerkennen. Selbstverständlich meint der Reisende damit weder die hier dargestellten Formen von Kult noch neue Entdeckungsprojekte, zu denen diese Gemälde vielleicht inspirieren könnten. Vielmehr setzt er die Bilder in Beziehung zu den Dingen, die er im Museum für Volkskunst gesehen hat, und hofft, dass er damit seinen Gedankengang verdeutlicht.
    Man kann den Louvre in Paris, die National Gallery in London, die Uffizi in Florenz, die Vatikanischen Museen, den Prado in Madrid oder die Dresdener Gemäldegalerie nicht beschreiben. Auch nicht das Museu das Janelas Verdes. Es ist das, was wir haben, und es ist gut. Der Reisende geht regelmäßig '64orthin, er hat die gesunde Angewohnheit, immer nur einen Saal anzusehen, sich dort eine Stunde aufzuhalten und dann zu gehen. Eine Methode, die er empfehlen kann. Eine Mahlzeit mit dreißig Gängen macht nicht dreißigmal satter als eine Mahlzeit mit nur einem Gang; das Betrachten von hundert Bildern kann den Nutzen und die Freude, die eins allein bescheren mag, zunichtemachen. Abgesehen von der Raumaufteilung hat Arithmetik wenig mit Kunst zu tun.
    In Lissabon ist schönes Wetter. Die Straße führt hinunter zur Parkanlage Santos-o-Velho, wo ein unglückliches Standbild des Schriftstellers Ramalho Ortigão zwischen dem Grün verschwindet. Der Fluss verbirgt sich hinter einer Reihe Lagerschuppen, doch man erahnt ihn. Aber hinter dem Bahnhof Cais do Sodré zeigt er sich in seiner ganzen Breite, um des Terreiro do Paço würdig zu sein. Das ist ein wunderschöner Platz, mit dem wir nie so recht etwas anzufangen wussten. An Ministerien und Regierungsabteilungen ist hier nicht mehr viel übrig, die großen Gebäude aus der Zeit des Marquês de Pombal eignen sich nicht für die neuen Konzepte von Büroparadiesen. Und was den Platz selbst betrifft, mal Parkplatz, mal Mondlandschaft, fehlt es ihm an Schatten, Unterständen, Treffpunkten, die zur Begegnung und zum Gespräch einladen. Ein königlicher Platz, drüben an der Ecke wurde ein König ermordet, doch das Volk hat den Platz nicht angenommen, allenfalls in politisch aufgeregten Situationen, die immer nur von kurzer Dauer waren. Der Terreiro do Paço gehört nach wie vor Dom José. Einer der blassesten Könige, die in Portugal herrschten, blickt als Statue auf einen Fluss, den er vermutlich nie gemocht hat und der größer ist, als er je war.
    Der Reisende geht eine der vielen Geschäftsstraßen entlang, wo jede Tür in einen Laden führt und auch die Banken Läden sind, und stellt sich vor, wie Lissabon hier aussehen würde, hätte es nicht das Erdbeben gegeben. Was ist, städtebaulich gesehen, verlorengegangen? Was hat die Stadt dafür gewonnen? Verlorengegangen ist ein historisches Zentrum, gewonnen wurde ein neues Zentrum, das mit der Zeit ebenfalls historisch wurde. Über Erdbeben zu diskutieren hat ebenso wenig Sinn, wie herausfinden zu wollen, welche Farbe die Kuh hatte, deren Milch sauer geworden ist, doch kommt dem Reisenden der vage Gedanke, dass der Wiederaufbau unter dem Marquês de Pombal ein massiver kultureller Bruch war, von dem die Stadt sich nie erholt hat und der sich in der konfusen Architektur fortsetzt, die in ungeordneten Wellen das Stadtgebiet überflutet hat. Der Reisende sehnt sich nicht nach mittelalterlichen Häusern oder einer Wiederbelebung

Weitere Kostenlose Bücher