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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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perfekte Proportionen. Wenn der Reisende einmal Zeit hat, muss er herausfinden, warum die Kirche diesen so gar nicht üblichen Namen trägt, der Jesuskind bedeutet – er hat den Verdacht, dass das eine Auflage Seiner Majestät war, der damit indirekt einen Bezug zu dem ihm geborenen Sohn herstellen wollte. Dom João V, bekannt für seinen Größenwahn, wäre das zuzutrauen.
    Noch geht der Reisende nicht hinunter in die Alfama. Erst einmal besucht er die Kirche und das Kloster São Vicente de Fora, laut Überlieferung dort erbaut, wo die deutschen und flandrischen Kreuzfahrer lagerten, die Dom Afonso Henriques die notwendige Unterstützung leisteten, um Lissabon zu erobern. Von dem damals auf Anweisung unseres ersten Königs errichteten Kloster ist nichts mehr vorhanden – man hat es zur Zeit Philipps II. dem Erdboden gleichgemacht und an seiner Stelle das noch heute erhaltene erbaut. Es ist ein imposanter architektonischer Apparat von einer gewissen, im Manierismus üblichen kühlen Linienführung. Dennoch zeigt die Fassade eine eigene, wenn auch diskrete Persönlichkeit. Das Innere ist geräumig, majestätisch, reich an Marmor und Mosaiken und der von Dom João V. in Auftrag gegebene barocke Altar mit seinen mächtigen Säulen und großen Heiligenbildern pompös. Vor allem aber muss man sich in São Vicente de Fora die Azulejo-Paneele im Eingang ansehen, insbesondere jene, auf denen, konventionell in der Disposition der Figuren, doch sehr lebendig die Eroberungen von Lissabon und Santarém dargestellt sind. Weitere Azulejos mit figürlichen Darstellungen schmücken die Kreuzgänge. Insgesamt wirkt der Bau etwas kalt, klösterlich in dem im 18. Jahrhundert gültigen Sinn, der ihm seitdem anhaftet. Der Reisende leugnet nicht, dass São Vicente de Fora seinen Wert besitzt, doch fühlt er sich mit keiner Faser seines Körpers oder Geistes berührt. Das mag an ihm liegen, weil er vielleicht nur auf stärkere Ausstrahlung reagiert.
    Nun aber geht der Reisende ins Stadtviertel Alfama, bereit, sich an der zweiten Ecke zu verlaufen, und entschlossen, nicht nach dem Weg zu fragen. Das ist die beste Methode, das Viertel kennenzulernen. Zwar besteht die Gefahr, dass er ein paar berühmte Orte verpasst (das Haus in der Rua dos Cegos, das Haus Menino de Deus oder das am Largo Rodrigues de Freitas, die Calçadinha de São Miguel, die Rua da Regueira, den Beco das Cruzes etc.), aber wenn er lange genug umherläuft, kommt er irgendwann doch daran vorbei und ist unterdessen noch tausendundein Mal auf Unerwartetes gestoßen.
    Die Alfama ist ein mythologisches Tier. Vorwand für Sentimentalitäten aller Art, ein Viertel, das schon viele für sich in Anspruch haben nehmen wollen, es verschließt sich Besuchern nicht, doch der Reisende spürt, dass ironische Blicke ihn begleiten. Nicht so ernste und verschlossene Gesichter wie in Barredo. Alfama ist mehr an kosmopolitisches Leben gewöhnt, es spielt mit, wenn es ihm von Vorteil scheint, doch in den Häusern wird vermutlich insgeheim viel gelacht über jene, die meinen, Alfama zu kennen, weil sie einmal bei einem Fest zu Ehren des heiligen António abends dort waren oder den Reis mit Hühnerklein und -blut gegessen haben. Der Reisende geht durch die verwinkelten Gassen, durch die eine, wo seine Schultern fast die Häuser zu beiden Seiten streifen und der Himmel oben nur ein Spalt zwischen Dachtraufen ist, die kaum eine Handbreit trennt, oder über abschüssige Plätze, deren Höhenunterschied zwei oder drei Treppenabsätze zu überwinden helfen, und er sieht, dass es in den Fenstern nicht an Blumen und Kanarienvögeln im Bauer fehlt, doch der Abwassergestank, den man auf der Straße riecht, muss in den Häusern noch stärker sein, in manche ist noch nie Sonnenlicht gedrungen, und andere haben im Erdgeschoss als einziges Fenster die offene Klappe in der Tür. Der Reisende hat viel von der Welt und dem Leben gesehen, und nie hat er sich wohlgefühlt in der Haut des Touristen, der hingeht, besichtigt, zu verstehen vorgibt, Fotos macht und bei der Rückkehr zu Hause sagt, er kenne die Alfama. Dieser Reisende muss ehrlich sein. Er ist in der Alfama gewesen, aber er weiß nicht, was sie ist. Dennoch geht er immer weiter, bergauf und bergab, und als er endlich auf den Largo do Chafariz de Dentro gelangt, nachdem er sich wie vorausgesehen mehrmals verlaufen hat, bekommt er Lust, sich noch einmal in die schattigen Sträßchen zu begeben, die verwirrenden Gassen, die halsbrecherischen Treppen und

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