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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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Zeichnen und Hungerleiden nach Lissabon kam, sagte: »Ich bin Manuel Ribeiro de Pavia«, und dabei blieb es dann; ob mit oder ohne Komma, darüber sollen sich die Aussprache-Pedanten streiten.
    Manchmal suchen Reisende in Einöden oder Berglandschaften nach so erinnerungsträchtigen Steingebilden wie Hünengräbern oder Dolmen. Dieser Reisende hat, wie seinerzeit berichtet, auf der Fahrt durch den Norden erst nach vielen Mühen einen gefunden, doch hier in Pavia steht mitten im Dorf ein enorm hoher Dolmen, aus dem die Menschen im Laufe der Jahrhunderte eine Kapelle gemacht haben. Sie ist dem heiligen Dinis geweiht, einem nicht sonderlich häufig verehrten Heiligen, was den Reisenden auf den Gedanken bringt, dass die Menschen ihm dieses heidnische Gebilde geweiht haben, weil sie nicht wussten, auf welchen Altar sonst sie ihn hätten setzen sollen. Die Tür zur Kapelle ist geschlossen, im Innern ist nichts zu erkennen. Der zwischen den großen Steinblöcken eingesperrte heilige Dinis dürfte sich fragen, was er getan hat, dass er in einer solchen Finsternis sitzen muss, er, dem die Römer den Kopf abgeschlagen haben und der deshalb zumindest als Standbild ständig das Licht der Sonne vor Augen haben sollte. Von der schattigen Seite des Platzes her beobachten alte Männer den Reisenden – vermutlich können sie kaum verstehen, was an sieben grauen Steinplatten, die dort schon standen, als sie geboren wurden, so interessant sein kann. Hätte der Reisende Zeit, würde er es ihnen erklären und dafür andere Geschichten zu hören bekommen, in denen es vielleicht keine abgeschlagenen Köpfe, aber sicherlich keinen Mangel an gefesselten Händen gäbe.
    Dann geht der Reisende sich vergewissern, ob die Pfarrkirche von Pavia tatsächlich so einzigartig ist, wie man ihm gesagt hat. Einzigartig ist sie ganz fraglos und auf den ersten Blick auch unzugänglich. An der höchsten Stelle im Ort erbaut, wirkt sie, vor allem an ihrer Südseite, weit eher wie eine Festung als ein Gotteshaus. Solche Charakteristika sind nicht selten, aber nur selten sind sie so sehr auf die Spitze getrieben wie hier, wo kein einziges Bauelement daran erinnert, dass dies ein Ort zum Beten ist. Die Außenwand krönen maurische Sattelzinnen, und fünf Türme auf kegelschnittförmigem Rumpf, die in perfekten Kegeln enden, verstärken in regelmäßigen Abständen massiv das Mauerwerk. An der Frontseite gibt sich die Kirche offen als Kirche zu erkennen, nur dass die Tür geschlossen ist. Während der Reisende nun dasteht und überlegt, ob er sich auf die Suche nach dem Schlüssel machen soll (eigentlich ist er nicht in der Stimmung für dieses nicht immer einfache Unterfangen), fängt die Kirchenglocke an zu läuten, in einem bestimmten Rhythmus, der etwas bedeuten muss. Gleich darauf ein lautes Quietschen von Schlössern und Riegeln, und die Tür geht langsam auf. Das hat der Reisende noch nie erlebt, und er hat nicht einmal sagen müssen: »Sesam, öffne dich.«
    Die Sache hat eine einfache Erklärung: Es ist halb sechs Uhr nachmittags, vielleicht die Stunde der Messe, und das zweifelnde Adverb benutzt der Reisende deshalb, weil während der gesamten Zeit, die er in der Kirche verbringt, kein Mensch in die Nähe, geschweige denn hereinkommt. Auf einer Bank sitzt der Priester, der die Glocke geläutet und die Tür geöffnet hat, und meditiert oder betet. Der Reisende murmelt in entschuldigendem Ton ein »Guten Tag« und sieht sich um. Die Kirche von Pavia ist sehr schön, mit achteckigen Granitpfeilern, deren Kapitelle menschliche Gestalten und Blattwerk zieren. Das Altarbild in der Hauptkapelle zeigt die Bekehrung des Paulus auf dem Weg nach Damaskus – bei einem Blick durch die offene Tür sieht der Reisende keinen weiteren Paulus herankommen. Die steingepflasterte Straße gegenüber ist menschenleer. Die Sonne brennt auf Pavia. Der Reisende wendet sich wieder dem Altarbild zu und stellt fest, dass darauf außer einem Bischof und dem heiligen Antonius auch der heilige Jakobus dargestellt ist und wild auf Mauren eindrischt. Man muss sich das vor Augen halten: Maurisch ist die Architektur dieser Kirche, aber den Mauren wird es damit vergolten, dass der heilige Jakobus gegen sie vorgeht. Ein ungleicher Kampf, denn der Heilige siegt immer. Der Reisende wünscht wieder einen guten Tag. Der Priester hört es nicht. Als der Reisende erneut über den Platz geht, auf dem die Kapelle des heiligen Dinis steht, begegnen ihm zwei bewaffnete Polizisten.
    Die Straße

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