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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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Bernardino Barco Recharto hört. Der Reisende macht keinen Abstecher, die Zeit ist knapp, aber er ahnt, dass er es in einer Stunde bereuen wird. Dann ist es zu spät. Er nimmt sich vor, künftig stärker seinen Impulsen nachzugeben, wenn die Vernunft wohlwollend ist und ihnen nicht unabweisbare Gründe entgegenhält.
    In Arraiolos wundert sich der Reisende. Zwar weiß er, dass die Alentejanos nicht ohne weiteres lachen, doch zwischen dem mit den ersten Schritten auf eigenen Beinen erlernten Ernst und diesen verschlossenen Gesichtern besteht ein himmelweiter Unterschied. Das Böse in der Welt muss ungeheuer groß sein. Der Reisende hält an einem kleinen Platz, um sich zu orientieren, er fragt nach Sempre Noiva und dem Convento dos Lóios. Ein ausgemergelter, runzliger alter Mann, dessen schlaffe Augenlider die rosige Seite mit der Schleimhaut sehen lassen, erklärt. Und während sie da so stehen, der Alte redend, der Reisende lauschend, kommen drei uniformierte und bewaffnete Männer vorbei. Der Alte verstummt abrupt, auf dem Platz sind nur noch die Schritte der Polizisten zu hören, und erst als diese um die Ecke gebogen sind, spricht er weiter. Aber nun ist seine Stimme zitterig und etwas heiser. Dem Reisenden ist unwohl, weil er nach einem Mönchskloster und einem Herrenhaus sucht, will sich schon entschuldigen, aber dann lächelt der Alte doch noch und sagt: »Hier kommen viele Leute her, die Sempre Noiva sehen wollen. Sind Sie aus Lissabon?« Der Reisende weiß mitunter nicht so genau, woher er ist, deshalb antwortet er: »Ich bin mal hier, mal dort gewesen.« Worauf der Alte sagt: »Wie es uns allen so geht.« Dann zieht er sich in den Schatten seines Hauses zurück.
    Das Herrenhaus Sempre Noiva auf dem Weg nach Évora hat einen wunderschönen Namen: »Auf immer Braut«. Es wäre ein herrliches Gebäude, wäre es nicht so überfrachtet mit Beiwerk und Anbauten. Dennoch besitzt das um 1500 erbaute Haus in seinem Mittelkorpus die Proportionen, die sich bei Beachtung des goldenen Schnitts ergeben, denn diese Bezeichnung verdienen jene, die derart Gestalt annehmen. Wieder beklagt der Reisende, dass die gegenseitige Befruchtung des christlichen und des maurischen Geistes sich nicht hat fortsetzen können. Kraft und Anmut zusammenzufügen und Leben einzuhauchen wäre ein Akt der Intelligenz und Sensibilität gewesen. Einfacher war es, Köpfe abzuschlagen, die einen mit dem Schrei: »Santiago, auf die Mauren!«, und die anderen: »Im Namen von Allah!« Worüber Allah und Jehova sich im Himmel unterhalten, das wissen wir nicht.
    Um zum Convento dos Lóios zu kommen, fährt man hinunter nach Vale de Flores. Das Kloster ist ein mächtiges Gebäude mit einem riesigen Glockenturm. Die Kirche, die man unter einem Vordach betritt, ist sowohl an der Front als auch an der sichtbaren Seite durch enorm hohe Widerlager verstärkt, wobei die an der Front ein wenig niedriger sind. Das erzeugt den Effekt einer plastischen Bewegung, die den Blickwinkel des Betrachters und folglich auch seine Sichtweise verändert. Im Großen und Ganzen ist der Stil manuelinisch-mudéjar, doch die inzwischen verschwundenen Azulejos hatte um 1700 der Spanier Gabriel de Barco gemalt. Wie bereits bewiesen, neigt der Reisende zu Phantasien. Nachdem er weiß – weil Fachleute das sagen –, dass Arraiolos 300 Jahre vor Christi Geburt von Gallo-Kelten oder aber etwas später von Sabinern, Albalongern und Tuskulanern gegründet wurde, sei ihm die Vermutung gestattet, dass der Versdichter aus Gafanhoeira ein Nachkomme dieses Azulejo-Malers ist, beide Künstler, beide mit dem Familiennamen Barco. Man hat schon aus weit weniger Material Stammbäume konstruiert. Nicht nur einen solchen Baum, sondern einen ganzen Wald entdeckt der Reisende in Pavia, einem Dorf an der Straße nach Avis, südlich des Flusses Tera. Hier lebte einst eine italienische Kolonie, deren Oberhaupt ein gewisser Roberto de Pavia war, der als sein Erbe einen Namen hinterließ, den er sich wiederum nach dem Ort zugelegt hatte, aus dem er stammte. So wird die Welt geformt. Der Reisende hat auf seiner Reise viel gelernt. Etwas so Einfaches: Da bricht vor siebenhundert Jahren ein Mann aus einer italienischen Stadt auf, kommt hier an und sagt: »Ich bin Roberto, aus Pavia«, und aus irgendeinem Grund, vielleicht weil den Leuten der Name gefiel, nahm das Dorf den Namen an und hat ihn bis heute behalten. Anhand dieses Beispiels versteht man sofort, warum der Zeichner Manuel Ribeiro, als er zum

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