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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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führt nach Mora, doch so weit fährt der Reisende nicht. Der Nachmittag geht zur Neige, und zwar sind die Tage lang, doch möchte der Reisende den »Adlerturm« Torre das Águias in der Nähe des Dorfes Brotas in aller Ruhe besichtigen. Die Straße verläuft über sanft gewellte Hügel, die dennoch nicht vergessen lassen, dass die Gegend hier kaum mehr als hundert Meter über dem Meeresspiegel liegt. Nur selten eine kleine Siedlung.
    Brotas taucht an einem Hang auf, es zieht sich in schmalen Gassen mit weißen Häusern hinauf. Die Landstraße muss sich zwischen schiefen Ecken und den sich in gebrochener Linie reihenden Fassaden hindurchwinden. Hier gibt es eine Wallfahrtsstätte, in einem Stil erbaut, der ebenso viel an Gotik beibehalten wie vom Barock genutzt hat, eine volkstümliche Lektion, erlernt von einem Baumeister, der sich nicht viel um strenge Genauigkeit gekümmert haben dürfte.
    Glaubt man den Informationen, ist Torre das Águias einfach zu erreichen. Der Reisende hat schon Schlimmeres erlebt, doch dieser Weg, der auf und ab führt, quer über Gräben oder von ihnen gequert, ist fraglos für Traktoren besser geeignet als für Stadtautos. Endlich, nachdem drei Abzweigungen, zwei Bäche und etliche lose Steine überwunden sind, geben die Bäume den Blick frei, fällt der Hang des letzten Hügels ab, und wie eine Erscheinung aus einer anderen Epoche taucht Torre das Águias auf. Schon so manches Mal ist der Reisende von solchen zivilen Bauwerken aus dem 16. Jahrhundert überrascht worden, doch nie so wie hier. Giela sieht man von der Hauptstraße aus, Lama fast ebenso, und Carvalhal bietet sich nach einer Kurve vollkommen dar. Nicht so Torre das Águias. Hier im Verborgenen steht noch mächtiger als bei den anderen die massive Steinmasse, gekrönt von konischen Türmen. Öffnungen wie Fenster und Schießscharten besitzt das Bauwerk kaum. Auf einer Wand reihen sie sich in einer einzigen vertikalen Linie mit großen blinden Mauerflächen rechts und links davon. Aber vielleicht ist der imposante Eindruck, den dieser Turm vermittelt, durch seinen bei solchen Bauwerken ungewöhnlichen pyramidenförmigen Grundriss bedingt.
    Er gehörte den Grafen von Atalaia. Es ist nicht bekannt, wer der Baumeister war, welcher Geistesblitz ihn veranlasste, obenauf die konischen, praktisch nutzlosen, da massiven Türme zu setzen; auch weiß man nicht, ob die Bezeichnung ihre Berechtigung darin hat, dass früher Adler diesen Ort aufsuchten. Wohl aber weiß man, weil es ins Auge fällt, dass der Turm gar nicht anders heißen könnte. Dieses wunderbare und so schlichte Bauwerk braucht nicht auf einem hohen Gipfel zu stehen, es muss nicht von Wolken gestreift werden, jeder kleine Vogel kann es mit einem Flügelschlag erreichen, und damit ist es, niedriger als der nächste Hügel, ein Adlerhorst. Der Reisende war erst vor wenigen Tagen in der Serra de Sintra – wie armselig und bedeutungslos ist der Palácio da Pena, so hoch gelegen, neben diesem unbearbeiteten, nackten Gestein. Der Reisende schließt diese neue Liebe in sein Herz. Und als er sich endlich auf den Weg macht, beschäftigt ihn ein Gedanke: Er wird sich etwas Wichtiges in seinem Leben entgehen lassen, wenn er nicht noch einmal hierher zurückkehrt.
    Die Sonne will untergehen, sehr bald schon. Der Reisende fährt ihr entgegen. Er kommt durch Ciborro. Zu seiner Rechten erhebt sich über der Ebene Guarita de Godeal. Der Reisende fährt in das Dorf Lavre, klopft an eine Tür. Hier wohnen Freunde. Hier wird er übernachten.

Eine Rosenblüte
    Noch einmal Richtung Mora, dann Montargil, längs der Talsperre, die seinen Namen trägt, und das ist gut so, denn es gibt kein schlimmeres Schicksal für eine Talsperre, als Dingsbums von Sowieso zu heißen, und der Reisende gelangt nach Ponte de Sôr. Hier haben wir es mit einem bescheidenen Namen zu tun. Da es einen Fluss Sôr gab (und was mag Sôr bedeuten? Senhor?), brauchte man eine Brücke, also wurde sie gebaut. Dann entstand die Ortschaft, wie sollte sie heißen, vermutlich musste gar nicht lange diskutiert werden, da war die Brücke, da war der Fluss mit seinem einsilbigen Namen, also Ponte de Sôr, und damit hatte es sich. An sich nicht schlecht, doch als der Reisende feststellt, dass flussaufwärts der Longomel in den Sôr mündet, überlegt er, welchen hübschen Namen doch Ponte de Sôr hätte, wenn es Longomel (etwa: viel Honig) hieße. Weiter oben gibt es ein Longos Vales, da wäre es nur gerecht, wenn ein so langer Ort

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