Die Portugiesische Reise (German Edition)
ist, besitzt sie schöne Azulejos mit den üblichen religiösen Motiven, doch unerwartet bietet sie den Gläubigen auch profane Jagd- und Fischfangszenen. Eine gute Lehre: Bete um dein Seelenheil, doch vergiss nicht, dass der Körper unterhalten und ernährt werden muss. Der Reisende betrachtet noch einmal, was er bereits gesehen hat, eigentlich möchte er nur die Kühle im Raum genießen, schließlich macht Not erfinderisch, bestraft sei, wer das abstreitet.
Über dem Gesims der Kirche von Crato findet sich ein faszinierendes, in unseren Breitengraden nicht gerade gewöhnliches Ensemble von menschlichen Figuren und Fabelwesen: Urnen, Kelche und Wasserspeier dienen als Träger und Rechtfertigung für die Darstellung von Heiligen, Engeln und seltsamen Wesen aus der mittelalterlichen Vorstellungswelt. Der Stein ist ein tiefdunkler Granit, der sich um diese Tageszeit schwarz gegen den blauen Himmel abzeichnet. Der Reisende, der so manches Mal beklagt hat, wie brüchig Stein ist, kann hier über die Haltbarkeit dieses Steins staunen – fünfhundert Sommer mit solcher Hitze, da hätte selbst ein Heiliger aus Granit das Recht zu sagen, jetzt reicht es, und sich in Staub aufzulösen.
Flor da Rosa liegt zwei Kilometer von Crato entfernt. Man fährt nach Flor da Rosa, um die Burg zu sehen (Burg, Kloster und Palast), die Dom Álvaro Gonçalves Pereira, Prior des Spitals und Vater von Nuno Álvares Pereira, 1356 hier erbauen ließ. Dorthin will der Reisende, doch zuvor muss er sich die ungewöhnliche Anlage des Dorfes ansehen, die Häuser stehen weit auseinander, dazwischen freie Flächen, die für die heutigen Märkte genutzt werden können, wie sie vermutlich zu jener Zeit für Lanzenwettkämpfe und Reiterspiele dienten. Der Eindruck drängt sich auf, es sei verfügt worden, rings um den mächtigen Bau viel Platz frei zu lassen, weshalb das einfache Volk sich weitab von den Herrschaften ansiedeln musste, und diese mutmaßliche Vorschrift habe sich so tief in das soziale Verhalten eingeprägt, dass sie praktisch sechs Jahrhunderte lang respektiert wurde. Statt Vorschrift hätte der Reisende beinah Tabu gesagt. Das Kloster Flor da Rosa, obwohl heute halb verfallen, regiert und beherrscht noch immer seine Umgebung.
Von außen wirkt der Gebäudekomplex, wie schon erwähnt, sehr massiv, gleich einer Festung. Doch die Kirche, die genau genommen der einzig erhaltene Teil ist, verblüfft durch ihre ungewöhnlich schlanken Proportionen. Statt einer gedrungenen, kompakten Masse, die ihre Außenansicht suggeriert, ist die Festungskirche, wie von jemand anderem beschrieben, »trotz der kleinen Öffnungen und der robusten Bögen und Rippen, die abrupt zu den dicken Granitwänden abfallen, die vertikalste aller im Mittelalter erbauten portugiesischen Kirchen«. Der Reisende, der Alcobaça noch frisch in Erinnerung hat, staunt über dieses architektonische Ungestüm – das Verhältnis zwischen Höhe und Breite des Kirchenschiffs ist tatsächlich überraschend, wenn man bedenkt, was man aufgrund der Außenansicht erwartet. Flor da Rosa wirkt deshalb, aber auch wegen seiner besonderen Ortsumbauung und seiner merkwürdig ruhigen, distanzierten Atmosphäre wie auf zarten Fingerspitzen dargeboten – eine wilde Rose, eine Blüte, die trotz der Zeit nicht welken kann; wer es gesehen hat, wird es nie vergessen. Wie eine Gestalt, die unseren Weg kreuzt, der wir ein Zeichen geben oder etwas zuflüstern, die uns aber weder wahrgenommen noch gehört hat und uns deshalb einem Traum gleich in Erinnerung bleibt.
Eine endlose Gerade, nur durch das Flussbett der Várzea unterbrochen, verbindet Flor da Rosa mit Alpalhão. Ganz allmählich steigt das Gelände an, stärker noch in der Nähe von Castelo de Vide an den äußersten nordwestlichen Ausläufern der Serra de São Mamede. Gestern erst hat der Reisende wegen Torre das Águias an Sintra gedacht. Nun muss er wieder daran denken, um zu überprüfen, ob Castelo de Vide zu Recht als »Sintra des Alentejo « bezeichnet wird. Es ist immer ein Zeichen von Minderwertigkeit – die man durch solche Bemäntelung anerkennt –, wenn man Orte derart etikettiert, die aufgrund eigener, größerer oder kleinerer Werte das gar nicht nötig hätten. Man sagt, Aveiro sei das portugiesische Venedig, doch niemand würde sagen, Venedig sei das italienische Aveiro; Braga wird das portugiesische Rom genannt, doch nur ein Spaßvogel würde Rom als das italienische Braga bezeichnen; und schließlich heißt es, Castelo de
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