Die Portugiesische Reise (German Edition)
Charakteristika dieser Art von Ansiedlung: enge, gewundene Gassen, niedrige, nur wenige Stockwerke zählende Häuser. Doch herrscht hier eine besondere Friedlichkeit, ohne jede Langeweile, eher wohl Anpassung. Der Largo da Sé, ein großzügiger viereckiger Platz, der die Kathedrale ins rechte Licht setzt, wirkt in seiner Ruhe wie ein Dorfplatz. Die Türme überragen die Häuser. Ihre pyramidenförmigen Spitzen sind von weitem zu sehen. Schon der obere Teil der Kirche ist übrigens höher als die Dächer der benachbarten Gebäude.
Im Innern erweisen sich die mächtigen Ausmaße des von dicken Granitsäulen in drei gleich hohe Schiffe unterteilten Gotteshauses als noch eindrucksvoller. Es ist eine sehr schöne Kirche mit ihren fünf, durch schmale Gänge verbundenen Kapellen am Kopfende. Das Giebelfeld des Altaraufsatzes in der Hauptkapelle mit Szenen aus dem Leben der Jungfrau Maria zeigt Christus, der seinen Jüngern erscheint, eine sehr wirkungsvolle Darstellung. Dem einstöckigen Kreuzgang fehlt eine gewisse Intimität. Doch die oberen barocken Auszackungen mit Rundöffnung, die sich mit Gefäßen abwechseln, verleihen ihm den etwas überraschenden Aspekt eines vierfachen Säulengangs.
Gleich nebenan befindet sich das Museu Municipal, das einige schöne Stücke besitzt. Nicht das wertvollste, aber fraglos das eindrucksvollste ist der Christus in Lebensgröße, der mit verzweifelter Anstrengung den Körper nach vorn wirft, um sich vom Kreuz loszureißen. Auf seinem Antlitz liegt ein empört überraschter Ausdruck, die Augen weiten sich, bis sie ihm fast aus den Augenhöhlen springen – der ganze Mann fleht um Hilfe. Als wollte er uns sagen, dass es nicht unumgänglich gewesen wäre, sein Leben zu opfern, um unsere Seelen zu retten. Wunderschön ist das Altarrelief aus Terrakotta, das Szenen aus dem Leben Christi zeigt – viele kleine Figuren voller Bewegung, bewundernswerte kleine Tableaus. Außerdem befinden sich hier geduldige Marmorarbeiten im Hochrelief, bei deren Anblick es dem Reisenden die Sprache verschlägt, als er bedenkt, welche minuziöse Arbeit, geradezu Akrobatik Augen und Hände für dieses Kunstwerk vollbracht haben müssen. Und es gibt noch eine Pietá aus Holz, im Hochrelief, der Dramatik in der Komposition und der grausam realistischen Darstellung des Körpers Christi nach zu urteilen vermutlich spanischen Ursprungs. Der Reisende betrachtet noch weitere wertvolle Stücke und beschließt seinen Rundgang bei einer Sammlung bemerkenswerter Teller aus dem 16. und 17. Jahrhundert, denen eine ganze Abteilung des Museums gewidmet ist.
Das Haus von José Régio ist ebenfalls ein Museum, mit allem oder fast allem, was man in Museen findet: Gemälde, Skulpturen, Möbel. Es ist ein Museum, das eine ausgezeichnete Sammlung von Christusdarstellungen, Votivgaben, Tafelbildern von den Seelen im Fegefeuer, Kunsthandwerkliches beherbergt, und es ist ein Haus, »erfüllt von guten und schlechten Gerüchen wie alle Häuser, die eine Geschichte haben, erfüllt von der zarten, aber lebendigen, fortdauernden Erinnerung an frühere Menschen und Motten, erfüllt von Sonne in den Fensterscheiben und Dunkelheit in den Ecken, erfüllt von Angst und Ruhe, von Schweigen und Erschrecken «. Wer es heute besucht, wird nicht dasselbe sagen (auch wenn er sicherlich die Verse in dem fortlaufenden Text erkennt, in den der Reisende sie verwandelt hat), doch das Fenster, von dem José Régio spricht, seine »einzige Ablenkung«, ist, wie der Führer erklärt, dieses hier, »ganz der glühenden Sonne ausgesetzt, der lähmenden, eisigen Kälte und dem Wind, der kommt und geht und wirbelnd tanzt um mein Haus in Portalegre, der Stadt im Alto Alentejo, umringt von Bergen, Winden, Felsenklippen, Korkeichen und Olivenhainen«. Der Reisende tut, was man von ihm erwartet, er geht auf die kleine Veranda, wie wenig braucht ein Dichter, schaut über die neuen Häuser hinweg auf das alte Land und versucht das Geheimnis der Worte zu verstehen, die anmuten, als wären sie lediglich einem Lehrbuch für Geographie entnommen: In Portalegre, der Stadt / im Alto Alentejo … Zu verstehen versuchen ist das Mindeste, was man verlangen kann.
Wäre der Reisende wissenschaftlich ausgebildet, würde er sich vornehmen, einen Essay mit ungefähr diesem Titel zu schreiben: Vom Einfluss der Latifundien auf die Entvölkerung . Das Wort »Entvölkerung « ist abstrus, doch in einem Essay würde es sich nicht gut machen, sich wie jeder normale Mensch
Weitere Kostenlose Bücher