Die Portugiesische Reise (German Edition)
Reisende sehr vorausschauend: Wenn es schon für das menschliche Gesicht an der Kapelle Salvador do Mundo keine Erklärung gibt, so möge man die Erklärung für das Geheimnis der überraschenden Allee hier finden.
Es stimmt. Von Marvão sieht man fast die ganze Welt. Auf der spanischen Seite sind Valência de Alcântara, San Vicente und Alburquerque zu erkennen, außerdem ein Haufen kleiner Dörfer; nach Süden hin kann man durch den Engpass, der die Serra de São Mamede von einem anderen Höhenzug, eigentlich nur ihrem Ausläufer, der Serra da Ladeira da Gata, trennt, Cabeço de Vide, Sousel, Estremoz, Alter Pedroso, Crato, Benavila und Avis ausmachen; im Westen und Nordwesten Castelo de Vide, wo der Reisende noch vor kurzem war, außerdem Nisa, Póvoa und Meadas, Gáfete und Arez; und im Norden schließlich, bei klarer Sicht, gehört der letzte blaue Schatten zur Serra da Estrela; da ist es kein Wunder, dass Castelo Branco, Alpedrinha und Monsanto deutlich zu erkennen sind. Verständlich, dass der Reisende hoch oben am Bergfried der Burg von Marvão ehrfürchtig murmelt: »Wie groß ist doch die Welt.«
Ein alter Stein, ein Mann
Hätten die Städte Beinamen, wie man sie den Königen gab, so würde der Reisende für Portalegre »das schön Umringte« vorschlagen. Dom Afonso III. hatte seine Gründe, hier die Siedlung Porto Alácer errichten zu lassen, woraus später Portalegre wurde, munterer Hafen, fröhlicher Hafen. Umringt von so viel Land und Wäldern, das Stadtgebiet so deutlich abgesetzt gegen die wilde, ländliche Umgebung, da versteht man, warum José Régio schrieb und es wie besessen immer aufs Neue wiederholte: »In Portalegre, der Stadt / im Alto Alentejo, umringt / von Bergen, Winden, Felsenklippen, Korkeichen und Olivenhainen …« Jeder Reisende, der fremde Dichtkunst und den eigenen Reichtum zu schätzen weiß, wird sich in der Melodie dieser Worte wiegen, wenn er hier unterwegs ist.
Schon lange ist der Reisende nicht mehr Nicolas de Chanterenne begegnet. Nachdem er keine zwei Schritte tun konnte, ohne auf seine Handschrift oder die seiner Werkstatt zu stoßen, ist er von der Bildfläche verschwunden, und wie es scheint, endgültig. So ist es aber nicht. Hier, im Kloster Nossa Senhora da Conceição oder São Bernardo, befindet sich das Grab des Bischofs Dom Jorge de Melo, vermutlich das letzte Werk des französischen Bildhauers, den das Glück nach Portugal vorschlagen hatte. Die Grabstätte mit einer liegenden Skulptur hat als Hintergrund ein wunderbares Retabel voller religiöser Gestalten in Nischen und Tempelchen, das Ganze in der für den Manierismus typischen perspektivischen Architektur. Eingedenk des Alabasteraltaraufsatzes, ebenfalls von Nicolas de Chanterenne, der sich im Convento da Pena in Sintra befindet, wird deutlich, welchen Einfluss das verwendete Material auf den Ausdruck eines Werkes hat: Dieser Marmor aus Estremoz ist unvergleichlich kommunikativer als der kostbare Alabaster im Convento da Pena. Es sei denn, es ist alles nur eine Frage des persönlichen Geschmacks – wenn der Reisende schon erklärt hat, dass Granit ihm lieber ist als Marmor, dann kann er nun sagen, dass ihm dieser Marmor aus Estremoz lieber ist als der edelste Alabaster. Wer meint, diese Details seien hier nicht von Interesse, dem sei entgegnet, dass Reisen und Reisende um vieles ärmer wären, wenn sie sich nicht bei solchen Einzelheiten aufhielten.
Da er sich schon in der Nähe befindet, beschließt der Reisende, die Teppichmanufaktur von Portalegre zu besichtigen, deren Herstellungstechnik der Franzose Jean Lurçat so überschwänglich gelobt hat. Für Teppiche hat der Reisende wenig Sinn, wohl aber, und das in hohem Maße, für Handarbeit. Zwar gefällt ihm all das, was er dort sieht, nicht, was sowohl an ihm liegen kann als auch den Herstellern der Vorlagen, nach denen gearbeitet wird, dennoch weiß er, obwohl er sich mit der Materie nicht auskennt, die Virtuosität der Knüpferinnen wie auch ihre kompetente Vorarbeit bei der Entscheidung über die Farben und Knüpfarten zu würdigen. Und abgesehen von allem anderen empfindet er als eine der großen Freuden dieser Reise, mit welcher Freundlichkeit man ihn bei der Besichtigung begleitet und auf welch schlichte und offene Art man ihm alles erklärt hat. Der Reisende bedankt sich. Und er bedankt sich hier noch einmal.
Nun ist es an der Zeit, in die Altstadt zu gehen. Nahezu rundherum von einer Stadtmauer umschlossen, zeigt sie die üblichen
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