Die Portugiesische Reise (German Edition)
Gut können sich nicht erinnern, jemals die Besitzer gesehen zu haben.« Der Satz klingt wie ein Nachtrag zum vorausgegangenen Gespräch, wie etwas, das noch gesagt werden musste. Der Reisende nickt. Die junge Frau lächelt.
Im Erdgeschoss des Turms zeigt Senhor António die ehemalige Küche, mit Wänden so dick wie ein mittelalterliches Bollwerk, nebenan lange Bänke und weiße Marmortische. »Hier haben die Tagelöhner gegessen«, erklärt er. Der Reisende sieht sich fasziniert um, stellt sich vor, wie die Männer auf den Bänken sitzen und auf die Brotsuppe warten. Er murmelt vor sich hin: »Brotsuppe an Marmortischen. So ein Titel braucht kein Buch mehr.«
Sie steigen hinauf in die oberen Stockwerke, leere Räume, Gänge, Treppen. In einem großen Raum stehen Stühle, ein Schreibtisch. »Hier halten wir unsere Versammlungen ab«, sagt Senhor António. Und plötzlich: »Da, sehen Sie mal, ein Spatz. Der muss durch ein Loch im Dach hereingekommen sein.« Der kleine Vogel wirft sich erschrocken gegen die Fensterscheiben, er begreift nicht, warum die Luft, eben noch sanft und weich, nun so hart geworden ist. Jenseits des Fensters Sonne, Bäume, offene Felder, und er hier drin gefangen. Da beschließen Senhor António und der Reisende, den Spatz zu fangen, sie stolpern über die Stühle, haben ihn schon fast, doch er weiß ja nicht, was sie beabsichtigen, entwischt ihnen, fliegt nach oben an die Decke, wo er sich aber nicht niederlassen kann, schlägt wieder gegen die Scheibe, der Reisende lacht, Senhor António lacht, in Torre de Palma herrscht fröhliche Stimmung. Schließlich erwischt der Reisende den Spatz, er ist ganz stolz, weil er und nicht Senhor António es geschafft hat, und spricht in brüderlichem Ton zu ihm: »Du Dummchen, hast du nicht begriffen, dass wir dir nichts Böses wollten?« Das kleine Herz des Spatzen klopft wie wild von der Anstrengung und der Angst. Er versucht noch, sich zu befreien, aber der Reisende hält ihn fest. Oben im Turm werden die Gefängnistüren geöffnet. Plötzlich ist der Spatz frei, die Luft ist wieder so, wie sie war, und im Nu ist er in der Ferne verschwunden. Der Reisende findet, mindestens die Hälfte seiner Sünden müssen ihm vergeben sein.
Nun zeigt Senhor António, bis wohin das Land der Kooperative reicht, welches Gebiet schon unter Naturschutz steht und welches unter Naturschutz gestellt werden soll, hoffentlich aber nicht. Von unten ruft ein Mann einen Satz hinauf, in dem das Wort Lämmer zu verstehen ist. Senhor António muss hinunter, zu seiner Arbeit. Der Reisende fragt noch, wo die römischen Ruinen sind, da und da, dann gehen sie nach unten, verabschieden sich wie Freunde, die sie nun sind, bis irgendwann.
Der Reisende geht zu den Ruinen. Er gibt sich die größte Mühe, sie aufmerksam zu betrachten, die altchristliche Basilika, das Becken des Taufraums, doch er merkt, dass er mit den Gedanken nicht bei diesen alten Steinen ist. Vielleicht liegt es an der zu großen Nähe zu den neuen Menschen, dass der Reisende nicht die Verknüpfung, die Beziehung, die Verkettung findet, die alles miteinander verbindet. Aber dass diese Verkettung existiert, das weiß der Reisende. Man braucht sich nur den immer noch stattfindenden Kampf des Theseus mit dem Minotaurus anzusehen, dargestellt auf den Mosaiken, die man nach Lissabon gebracht hat.
Die Bauwerke von Monforte besichtigt der Reisende nicht. Es gibt die Kirche Nossa Senhora da Conceição mit ihren Mudéjar-Zinnen, die Casa do Prior mit einem Vordach und barocken Stuckarbeiten, die Madalena-Kirche mit ihrem in Pyramidenform spitz zulaufenden Glockenturm. Das sind Erinnerungen von außen. Mit Torre de Palma im Gepäck hält der Reisende es für besser, nicht hineinzugehen. Sicherlich hätte er auch gar nicht durch die Türen gepasst.
Der nächste Halt ist Arronches, ein von fünf Brücken umgebenes, hochgelegenes Städtchen, im Norden, Westen und Süden umspült vom Wasser eines schmalen und eines breiten Flusses, dem schmalen Arronches und dem breiten, seit Eça de Queirós berühmten Caia. Am Portal der Pfarrkirche trifft der Reisende auf Spuren von Nicolas de Chanterenne, nicht von ihm selbst, sondern eine bescheidene Kopie: Cherubim und Krieger im Hochrelief zeigen eine unverwechselbare Verwandtschaft. Besonders interessant findet der Reisende jedoch die Kirche Nossa Senhora da Luz mit ihrem Renaissance-Portal und dem Vordach, den schönen Kapitelsaal mit Stuckfiguren und den verschwiegenen Kreuzgang,
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