Die Portugiesische Reise (German Edition)
den weiten Horizont erstreckt, der Wald am Rio Tuela, ein Gemälde, das niemand hätte malen können, eine Sinfonie, eine Oper, das Unbeschreibliche. Deswegen sähe er auf dieser Straße gern einen niemals endenden Zug von Landsleuten von hier bis Peso da Régua, die hin und wieder eine Pause einlegen, um den Weinlesern zur Hand zu gehen, und dafür ein paar Trauben bekommen oder darum bitten, die den Most der Kelter riechen, die Arme hineinstecken und sie rot vom Blut der Erde wieder herausziehen. Man möge dem Reisenden seine Tagträume nachsehen, sie entstehen aus einem Gefühl der Brüderlichkeit.
Die Straße verläuft weiter in einem friedlichen Wechselspiel von Kurve und Gegenkurve, mal bergab, mal bergauf; von der einen Seite aus sieht man die Häuser besser, selbst sie harmonieren mit der Landschaft. Das hier ist keine Einöde. Es gab eine Zeit, in der diese Schiefergebirge erschreckende, borstige Massen gewesen sein mögen, die in der Sommersonne glühten oder bei Unwettern von tosenden Wasserfällen überschwemmt wurden, gewaltige steinerne Wüsteneien, die nicht einmal zur Verbannung taugten. Dann kam der Mensch und machte sich daran, das Land zu bebauen. Mit Schmiedehammer und Keilhacke nahm er den Stein auseinander und bearbeitete ihn, als zerbröckelte er ihn zwischen seinen rauen Händen, stapelte ihn zu Mauern, kilometerlang, um nicht zu sagen Tausende von Kilometern lang, wenn man alle Mauern zusammenzählt, die in diesem Land errichtet wurden, um Wein, Obst- und Olivenbäumen Halt zu geben. Hier, zwischen Vila Real und Peso da Régua, erreicht die Kunst des Terrassenbaus den Gipfel an Perfektion, es ist eine Arbeit, die nie abgeschlossen ist, man muss stets aufpassen und nachbessern, dort, wo die Erde eingebrochen ist, wo die Felsplatten auseinanderrutschen, wo eine Wurzel mit ihrer Hebelwirkung eine Mauer am Ende des Tales zum Einsturz zu bringen droht. Von weitem betrachtet sehen diese Männer und Frauen aus wie Zwerge aus dem Lande Liliput, die letztlich in ihrer Vielzahl den Bergen trotzen und sie zu bändigen wissen. Riesige Menschen sind das, aber nur in der ausschweifenden Phantasie des Reisenden, wenn man bedenkt, dass die Menschen eine ganz normale Größe haben, Schluss damit.
Das Mittagessen findet in Peso da Régua statt, und weder Geruch noch Geschmack bleiben ihm in Erinnerung. Noch zu Tisch, schlägt der Reisende seine großen Karten auf, folgt mit dem Finger dem Verlauf der Straßen, ganz langsam, mit der Freude eines Kindes, das die Welt entdeckt. Sein Plan war es gewesen, am Ufer des Douro entlang bis Mesão Frio zu fahren, aber plötzlich überkommt ihn eine große Sehnsucht nach der Strecke, die er gerade zurückgelegt hat, und wenn der Reisende eine Sehnsucht wie diese verspürt, dann muss er ihr nachgeben. Das Mindeste, was er tun kann, ohne etwas zu verlieren, ist, hinauf bis nach Fontelas zu fahren und weiter oben zwischen den Obstgärten auf die Weinterrassen und weit unten den Fluss hinunterzublicken, mit einem tiefen Frieden in der Seele angesichts der vereinzelten kleinen Landhäuser, alles Enkel Nasonis, des heiligen Architekten, der eines Tages in dieses Land kam und zum Glück für reichlich Nachkommenschaft sorgte. Der Reisende fährt wieder hinunter nach Peso da Régua, durchquert den Ort, ohne anzuhalten, und ist gequält von Zweifeln, denn einerseits zieht es ihn nach Vila Real, andererseits bliebe er gern in den Hängen von Fontelas und Godim, zwischen den Mauern, um wie ein kleiner Junge an die Tore zu schlagen und vor dem Bellen der Hunde zu flüchten. Welch ein Leben.
Wie man sieht, erinnert sich der Reisende an seine Kindheit, die er in einem anderen Teil des Landes verbrachte, und aus diesen Gedanken erwacht er erst auf der Höhe von Lobrigos, einmal mehr fasziniert von den Weinbergen, die zweifelsohne das achte Weltwunder sind. Er fährt durch Santa Marta de Penaguião und Cumeeira bis Parada de Cunhos und sieht sich hier, im Rücken den Rio Corgo, dem Marão gegenüber. Das klingt wie eine trockene Wegbeschreibung, ist aber ganz im Gegenteil ein großer Schritt im Leben des Reisenden. Das Marãogebirge durchqueren kann jeder, aber wenn man weiß, dass Marão so viel heißt wie Casa Grande, nämlich Herrenhaus, bekommen die Dinge ihre wahre Bedeutung, und der Reisende weiß, dass er nicht einfach nur ein Gebirge durchquert, sondern ein Haus betritt.
Und was tut ein Besucher, wenn er in ein Haus kommt? Er zieht den Hut, wenn er einen trägt, und senkt
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