Die Portugiesische Reise (German Edition)
erkundigt. Sie ist die Nichte von Camilos Urenkel, eine sehr zuvorkommende Frau, die die Fragen des Reisenden ausgiebig beantwortet. Zu beider Füßen fließt ein Rinnsal, und die Bienen summen weiter, es gibt noch wirklich glückliche Momente im Leben.
Aber sie sind nicht von Dauer. Die Aufmerksamkeit der Dame darf nicht überstrapaziert werden, der Reisende ist ein Narr, zu glauben, man würde ihn ins Haus einladen, dazu besteht gar kein Grund, und so bedankt er sich, verabschiedet sich und geht noch ein wenig im Dorf umher. Dort steht ein riesiger Eukalyptusbaum, der 1913 gepflanzt wurde und dessen obere Äste die Bäuche der Wolken berühren; die Frauen, die ihre Wäsche waschen, wünschen ihm eine gute Reise, und der Reisende macht sich zufrieden wieder auf den Weg. Der führt nach Samardã, ein Dörfchen am Bergeshang, man könnte wetten, es sieht noch genauso aus, wie Camilo es verlassen hat. Dieses Haus zum Beispiel, auf dem Türsturz ist das Datum 1784 vermerkt, auf dieses Haus hat Camilo vom selben Ort aus geblickt, an dem der Reisende jetzt steht, beide füllten denselben Raum aus, zu verschiedenen Zeiten, dieselbe Sonne über den Köpfen und dieselbe Silhouette der Berge. Einheimische kommen ihm entgegen, aber der Reisende steht in Verbindung mit dem Jenseits, diese Welt interessiert ihn nicht, man möge ihm dieses eine Mal verzeihen. Der Reisende lässt seine Augen über den hohlen Saum des Berges schweifen und sucht unbewusst die Höhle, in der das räudige Schaf dem ausgehungerten Wolf als Köder diente, aber er bemerkt rechtzeitig, dass sich die Zeiten geändert haben und die Wölfe woanders sind, auf Wiedersehen also.
Der Reisende fährt nach Vila Real, und diesmal wird er sich den Gepflogenheiten entsprechend verhalten. Als Erstes Mateus, der Stammsitz des Majorats. Bevor man den Palast betritt, sollte man ein bisschen durch den Garten spazieren, und zwar ohne Eile. Gibt es drinnen auch noch so viele kostbare Schätze zu sehen, so wäre es doch hochmütig, jene draußen zu verschmähen, diese Bäume, die aus dem Spektrum der Farben einzig das Blau vernachlässigen und es dem Himmel überlassen, hier sind alle Farbtöne versammelt, Grün, Gelb, Rot, Braun, in allen Schattierungen, selbst Spuren von Violett. Das ist die Kunst des Herbstes, die Kühle unter den Füßen, diese wunderbare Augenfreude, und die Seen, die alles widerspiegeln und vervielfältigen, plötzlich glaubt der Reisende, in ein Kaleidoskop gefallen zu sein, ein Reisender im Wunderland.
Als er vor dem Palast steht, kommt er wieder zu sich. Eine auf dem Etikett eines schlechten Weines missbrauchte Schönheit, die dank des Architekten Nasoni erhalten geblieben ist. So etwas lässt sich schwer beschreiben, und auch wenn der Reisende eher der Schlichtheit romanischer Architektur zugetan ist, verfällt er doch nicht in törichte Halsstarrigkeit. Der höfischen Anmut ist schwer zu widerstehen und auch dem Geniestreich der auf den ersten Blick ungleich hoch erscheinenden Zinnen auf dem Dach. Der scheinbar kleine Patio ist ein erstes Anzeichen für die Intimität im Innern des Palastes. Die breiten Granitplatten hallen wider, der Reisende spürt das große Mysterium menschlicher Behausungen. Drinnen dann das zu Erwartende: Gemälde, Möbel, Statuen, Kupferstiche, die Atmosphäre einer geschmackvollen Sakristei, die gegen die gewichtige Gelehrsamkeit der Bibliothek ankämpft. Hier befinden sich die Druckstöcke der Originale von Fragonard und Gérard für die Lusíadas , und wer leicht für Patriotisches zu begeistern ist, findet Autogramme von Talleyrand, Metternich, Wellington und sogar Alexander, dem Zar von Russland, die sich sämtlich für den Erhalt eines Buches bedanken, das keiner von ihnen lesen konnte. Bei allem Respekt, das Beste an Mateus ist der Meinung des Reisenden nach immer noch Nicolò Nasoni.
Die Welt ist nicht gut organisiert. Es ist nicht mehr nur die vertrackte Geschichte, dass die einen zu wenig und die anderen zu viel haben, sondern in diesem Fall das schwerwiegende Vergehen, nicht dafür zu sorgen, dass jeder Mensch in diesem Land einmal diese Straße entlanggefahren ist, um ihm den phantastischen Anblick dieser terrassenförmig angelegten Hänge zu ermöglichen, die von oben bis unten mit Weinreben bedeckt sind, die Linien der Stützmauern, die dem Verlauf des Berges folgen, und dann die Farben, wie soll der Reisende in Kurzprosa beschreiben, was das für Farben sind; es sind der Garten von Mateus, der sich bis in
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