Die Portugiesische Reise (German Edition)
mit dem Turm von Babylon. Der Reisende parkt den Wagen und geht einmal um die Kirche herum, betrachtet die Verzierungen im Stein und sucht nach einer Tür, durch die er ins Innere gelangt. Als er bereits aufgeben beziehungsweise einen kompetenten Fremdenführer suchen will, findet er eine Treppe, die hoch zu einer halboffenen Tür führt. Das muss der Eingang zum Glockenturm sein. Diese Vermutung bestätigt sich nicht, jedenfalls kann der Reisende sich nicht daran erinnern, aber nachdem er die Treppe hinaufgegangen ist, die Tür vorsichtig aufgestoßen und drei Schritte ins Innere gemacht hat, findet er sich plötzlich auf dem oberen Chor wieder, mit einem exzellenten Blick über das gesamte Kirchenschiff: Der Reisende lehnt sich über das Geländer und bleibt lange so stehen, denn er ist ein Mensch, der, wenn möglich, die Dinge sorgsam betrachtet. Es ist keine Menschenseele zu sehen, weder Betende noch ein Aufseher. Als er endlich aufbrechen will, sieht er in einer Ecke eine Figur der heiligen Maria stehen, mit Engeln zu ihren Füßen, zum Greifen nah. Er tritt einen Schritt näher, um besser sehen zu können, als plötzlich, wahrscheinlich aus dem Glockenturm kommend, der Teufel erscheint, völlig ungezwungen und ohne jede Verkleidung: mit Hörnern, langschwänzig, behaart und bärtig, wie es sich gehört. Da sagt der Versucher: »Na, auf Reisen?« Der Reisende duzt viele Leute, aber nicht den Feind. Er antwortet trocken: »Ja. Was kann ich für Sie tun?« Der andere: »Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass diese Engel nur von einem kleinen Nagel gehalten werden, du musst nur daran ziehen, und sie gehören dir. Die Jungfrau würde ich dir nicht empfehlen. Sie ist schwer und groß, man würde dich beim Hinausgehen bemerken.« Der Reisende wird böse. Er packt den Teufel bei den Hörnern und gibt ihm mit Nachdruck zu verstehen: »Gehen Sie mir sofort aus den Augen, oder ich verpasse Ihnen einen Tritt, der Sie direkt nach Hause befördert.« Will heißen, in die Hölle. Der Teufel weiß sich in Szene zu setzen, aber im Grunde ist er ein Feigling. Der Reisende hat noch einiges mehr zu sagen, aber die Worte bleiben in der Luft hängen: Der Teufel ist verschwunden. Empört über die Dreistigkeit des Leibhaftigen, begibt sich der Reisende nach draußen. Er öffnet die Tür, läuft die ersten Stufen hinab und wirft von dort oben einen Blick auf die Ortschaft. Es ist niemand zu sehen, kein Auto auf der Straße. Der Reisende geht zurück, hinein in den Chor und zu der Figur, die ihn fromm ansieht, und er tut, wie der Teufel ihn geheißen: Er greift sich einen der Engel, zieht und hält ihn in der Hand. Drei Sekunden lang blieben Himmel und Erde stehen, um zu sehen, was geschehen würde: War diese Seele verloren, oder würde sie gerettet werden? Der Reisende setzt den Engel zurück an seinen Platz, geht die Treppe hinunter und murmelt vor sich hin, das sei ja auch keine Art, dass die Kirche die armen Engelchen aufspieße wie irgendeinen dahergelaufenen Ganymed. Die Erde lacht, der Himmel errötet vor Scham, und der Reisende setzt seine Reise nach Murça fort.
Hinter Carrazedo verlässt die Straße den Rio Curros und führt bergauf in hohe Gefilde. Weite Einöden sind das, meilenweit ist kein Mensch zu sehen, und als plötzlich unerwartet ein Ort auftaucht, heißt er Jou, was für ein wunderhübscher Name, und an anderer Stelle führen kleine Straßen nach Toubres, nach Valongo de Milhais, nach Carvas. Der Reisende wiederholt diese Namen immer wieder, er kostet sie aus, als könnte er sich von ihnen ernähren. Entweder waren unsere Vorfahren besonders phantasievolle Menschen, oder die ursprüngliche portugiesische Sprache war einfach sehr viel beweglicher als heute, wenn man bedenkt, wie viel Charme Namen wie Vila Soundso haben, mit denen heutzutage neue Siedlungen getauft werden.
Und so fährt der Reisende weiter, lässt den Blick über die Landschaft gleiten und findet Trost in den Bergen und der Vegetation, ob wild oder kultiviert, den Steinen und Felsen, den riesigen Gebirgsrücken, die ihn vergessen lassen, dass weiter unten meilenweit Ebenen liegen.
Der Reisende kommt nach Murça, ein berühmter und angesehener Ort, der seinerzeit Sinn für Humor bewies, als man ein riesengroßes Wildschwein aus Granit auf einem Sockel aufstellte, eine große Schwester der bereits erwähnten Exemplare. Da steht es auf dem Marktplatz, Rippen und Lenden, ein unerschöpflicher Schinken, und grunzt die Passanten an. Vom Schweinestall
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