Die Portugiesische Reise (German Edition)
leicht den Kopf, wenn er keinen trägt; kurz, er erweist den gebührenden Respekt. Der Reisende ist ein Besucher, und bevor er ins Gebirge hineinfährt, säubert er seine Seele, so wie man sich die Schuhe auf einer Fußmatte abtritt. Der Marão ist kein spitzer Felsen, kein schwindelerregender Gipfel, keine Herausforderung für Alpinisten. Wie schon gesagt, er ist ein Haus, und Häuser sind dazu da, dass Menschen in ihnen wohnen. Jeder kann diese Höhe erklimmen. Wird er es können? Die Berge nehmen kein Ende, sie verdecken den Horizont, oder sie reißen ihn auf für einen noch höheren, alle sind rund, die Rücken riesiger Tiere, die in der Sonne liegen und sich niemals bewegen werden. In den tiefen Tälern ist das Brodeln des Wassers zu hören, und von allen Seiten fließen Sturzbäche die Hänge hinab und die Straße entlang, bis sie einen Weg in die nächste tiefergelegene Ebene gefunden haben, von Stufe zu Stufe, bis sie weit hinunterstürzen oder ganz sanft in den Hauptstrom münden, der wiederum nur Zufluss zu einem weiteren ist, dessen Wasser entweder weiter hinten in den Rio Corgo, im Süden in den Rio Douro oder in den Rio Tâmega fließt, in dessen Richtung der Reisende fährt.
Und dann sind da die Wälder. Der Reisende führt sich wieder vor Augen, was für ein Glück er hat, im Herbst zu reisen. Aber schon ein Baum ist schwer zu beschreiben. Wie soll man da einen Wald beschreiben? Wenn der Reisende den Berg vor ihm betrachtet, dann sieht er die hohen Stämme, die wahlweise runden oder dürren Baumkronen, die den Humus verdecken, und den Farn, den weichen Busch der Berge. So erfährt er, dass auch er unsichtbar ist, ein Gnom, ein Kobold, ein kleines Tierchen unter dem Laub, und erst wieder Mensch, wenn von Zeit zu Zeit der Wald aufbricht und die Straße unter freiem Himmel verläuft. Und immer wieder das Rumoren des eisig kalten Wassers und die Wolken, die über den Himmel rollen, ein vorbeiziehendes Murmeln, wie sieht hier wohl ein Gewitter aus? Durch das Marãogebirge zu fahren, von Vila Real bis Amarante, sollte eine weitere Bürgerpflicht sein, genauso wie man Steuern zahlt und seine Kinder beim Standesamt anmeldet. Der Marão ist der umgekippte Stamm eines großen steinernen Baumes, dessen Wurzeln im Rio Douro liegen und der sich bis zum Alto Minho und nach Galicien hinein erstreckt: In Falperra wird er kräftiger und öffnet sich dann Berg für Berg über Barroso und Larouco, über Cabreira Gerês, bis nach Peneda und hoch nach Lindoso und Castro Laboreiro.
Weiter geht die Reise. Der Reisende kommt nach Amarante, einer Stadt, die aussieht, als läge sie in Italien oder Spanien, die Brücke und die Häuser, die sich über das linke Ufer des Rio Tâmega neigen, der Balkon der Könige, der zum Platz hinführt, und das einfache Hotel, dessen hintere Veranden auf den Fluss hinausgehen, wo zu dieser spätnachmittäglichen Stunde leichter Nebel aufsteigt, vielleicht auch nur der Wasserdunst der Stromschnellen, deren Rauschen den Reisenden in seinen Träumen verfolgen wird, sehr zu seiner Freude. Zuvor jedoch nimmt er im Zé da Calçada ein bekömmliches und wohlschmeckendes Abendessen zu sich. Und als er über die Brücke kommt, will er ausnahmsweise mal keine Predigt halten, denkt sich aber: »Wenn die nicht einiges zu erzählen hat.« Und erst die, die zuvor an dieser Stelle stand und im 13. Jahrhundert vom Stadtheiligen Gonçalo gemeinsam mit den Bewohnern von Ribatâmega erbaut wurde. Das waren noch Zeiten, als der Heilige dem Maurer den Mörtel brachte und dieser es ihm dankte.
Die Höhle des zahmen Wolfes
Als der Reisende aufwacht, ist es noch nicht mal richtig hell, und er stellt fest, dass es nicht nur das Rauschen des Flusses war, das ihn eingelullt hat. Es regnet, die Dachrinne schüttet Wasserfälle über die Kacheln der Veranda. Der Reisende ist es inzwischen gewohnt, bei jedem Wetter zu reisen, und so zuckt er unter seiner Decke nur mit den Schultern und schläft sorglos weiter. Gut so. Als er dann aufsteht, ist der Morgen bereits fortgeschritten und der Himmel nicht mehr bedeckt, und die Sonne bildet kleine Regenbögen in den Tropfen, die auf den Blättern hängen. Ein Fest. Den Reisenden schaudert es, wenn er nur daran denkt, was für eine Hitze jetzt herrschte, wäre es Sommer. Sein erster Gang führt ihn ins Museu Albano Sardoeira, wo es einige interessante archäologische Fundstücke zu sehen gibt, darüber hinaus ein paar Tafelbilder aus dem 16. Jahrhundert, durchaus sehenswert, aber
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