Die Portugiesische Reise (German Edition)
würde dem Alentejo Land wegnehmen, um es den Menschen aus dem Alentejo zu geben, dem Algarve, um es den Menschen aus dem Algarve zu geben, und dasselbe würde er von Norden her im Minho, in Trás-os-Montes und immer so weiter machen, jedem das Seine, und für alle Portugal. So würde der Reisende vorgehen.
Auch der Guadiana, der mit dem Reisenden Versteck gespielt hat, ist nach Mértola gekommen. Dieser Fluss ist von Anfang an schön und wird es bis zu seinem Ende sein, dieser Bestimmung wird er treu bleiben. Der Reisende geht einen Blick auf den Fluss werfen und stellt fest, dass er weder seine tiefe Farbe noch seine Wildheit eingebüßt hat, selbst hier nicht, wo er zwischen friedlichen Ufern dahinströmt. Es ist seine Natur, so wie der Schrei des Milans.
Zur Pfarrkirche geht es bergauf. Die Tür ist verschlossen, doch weder wundert sich der Reisende, noch regt er sich auf. Wo heute die Kirche steht, stand früher eine Moschee, und diese schlichte historische Tatsache rechtfertigt für ihn sämtliche Vorsichtsmaßnahmen, sämtliche Schlösser und Riegel. Über welche gewundenen Pfade ihm dieser Gedanke in den Kopf kommt, weiß er nicht. Er sagt nur, was er gedacht hat. Er klopft an eine Tür, erhält gleich zur Antwort, hier sei er nicht richtig, aber weiter unten. Doch braucht der Reisende nicht selbst hinzugehen. Mit einem gellenden Schrei, der eher nach dem Ruf eines Muezzins klingt, alarmiert die Nachbarin ihre Nachbarin, und nach einer halben Minute kommt diese, nicht mit einem, sondern mit zwei Schlüsseln. Der erste öffnet eine kleine, an die Wand geklemmte Kapelle, in die kaum drei Menschen passen. Es ist die Kapelle des Senhor dos Passos. Darin ein Christus in lilarotem Gewand, mit all den Wundmalen an Händen und Füßen und gequältem Gesichtsausdruck. Das Schönste aber sind zwei Skulpturen, die eine zeigt den an die Säule gebundenen Christus, die andere Christus als Ecce- Homo, beide mit kräftigem Körperbau, eigentlich akademisch, wäre nicht diese Robustheit, bei der sich sämtliche Muskeln abzeichnen, zum Teil wie bei uns allen, wenn wir uns anstrengen, zum Teil Muskeln, die nur ein Athlet ausbilden könnte. Der Reisende staunt darüber, dass zwei so perfekte Arbeiten in dieser winzigen Kapelle stehen, er fragt, woher sie stammen, und als hätte er es geahnt, wird ihm sogleich die wunderbare Geschichte von einem Häftling erzählt, der vor vielen Jahren im Gefängnis von Mértola in seinen langen Mußestunden die beiden Christusfiguren geschaffen hat. Der Reisende fragt, wer der Häftling war, das kann nicht die ganze Geschichte sein, doch mehr hat die Erzählerin nicht zu bieten, also fängt sie noch einmal von vorn an. Enttäuscht beschließt der Reisende für sich, dass es sich um eine Legende handeln muss (es fehlte nur noch, dass sie den Mann zum Lohn für seine Kunstwerke freigelassen haben), und glaubt kein Wort. Vielleicht zu Unrecht. Zumindest ist die Geschichte faszinierend – der Häftling in seinem Verlies meißelt und meißelt nicht eine, sondern zwei Christusfiguren, nicht einen, sondern zwei Schlüssel, doch ziemlich wahrscheinlich hat ihm keiner von beiden die Gefängnistore geöffnet.
Währenddessen fährt draußen ein Auto vor, gleich darauf sind lebhafte Stimmen zu hören. Es sind Italiener, die zu der Kirche kommen, die einmal eine Moschee war. Der Reisende hat schon die Kapelle verlassen, die Frau schließt die Tür ab, und da sie fraglos alle dasselbe Ziel haben, erwidert der Reisende mit einem Lächeln das Lächeln der gerade eingetroffenen Familie: Vater, Mutter und etwa zwölfjährige Tochter. Auf das Lächeln folgen zögernd Worte, probeweise auf Französisch, dann stellt der Reisende fest, dass sein holperiges Italienisch zur Verständigung ausreicht. Eine Unterhaltung entspinnt sich, wer bist du, wer bin ich, man stellt fest, dass sie einander schon in Sintra begegnet sind, als der Reisende im Palácio da Vila war und auch sie sich den Vortrag des Fremdenführers anhörten. Sie kommen gerade aus dem Algarve, der Reisende ist auf dem Weg dahin, und Rom, wie sieht es in Rom aus, es macht sich immer gut, Römer zu fragen, wie es der Stadt geht, in der sie leben, und wenn die Zeit nicht knapp gewesen wäre und die Frau mit dem Schlüssel nicht, obwohl geduldig, gewartet hätte, dann hätten sie sich noch stundenlang über die Piazza Navona, Sant’Angelo, den Campo de’Fiori, die Sixtinische Kapelle unterhalten. Die Familie heißt Baldassarri, sie haben eine Galerie
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