Die Portugiesische Reise (German Edition)
haben getanzt, Wettläufe und Fahrradrennen wurden absolviert, es gab eine Messe, wie es sich gehört, und heute geht das Vergnügen zu Ende. Am frühen Abend, wenn die Sonne sinkt, gibt es Stierkampf mit ein paar gefährlichen Kühen, ziemlich geschundene Tiere, die offenen Auges um sich stoßen, und dann wird man sehen, wie viele junge Burschen aus Castro Verde und Entradas sich in die Arena wagen, um sich von den Hörnern stoßen und von den Zuschauern applaudieren zu lassen. Die Gefahr ist nicht groß. Bei den ersten Angriffen reagieren die Tiere stur und dumm, doch endlich, halb betäubt vom Geschrei und Staub, zermürbt vom Zustoßen und Am-Schwanz-gezogen-Werden, gehen sie auf das Spiel der Burschen ein, stürmen ordentlich voran und halten sofort inne, wenn sie den Angreifer auf den kaum gepolsterten, schiefgebogenen Hörnern spüren. Die Zuschauer, die auf den wackelnden Brettern der improvisierten Arena hocken, lassen sich nicht täuschen. Sie protestieren, die Kuh sei müde, verlangen nach einem anderen Tier. Alle haben ihren Spaß, die Philharmonie spielt, um die Burschen bei ihrer Ehre zu packen, das Horn ruft zu einem neuen Angriff: Ein Bursche aus Entradas nähert sich der Kuh von hinten, vielleicht will er ihr einen Klaps geben, doch die Kuh dreht sich plötzlich um, der arme Junge bleibt vor Schreck wie erstarrt stehen, und ehe er sich’s versieht, hat sich ihm ein Horn zwischen die Beine geschoben und er fliegt durch die Luft, doch hat er so viel Glück, dass er, als er auf dem Rücken des Tieres landet, zum Kopf hin rutschen kann, und dort klammert er sich heldenhaft fest, wie man es im ganzen Baixo Alentejo noch nicht erlebt hat. Gelächter aus fünfhundert Kehlen, denn dieses Publikum lässt sich nichts vormachen. Doch endlich bekommt der Bursche seinen Applaus, während die Philharmonie schwungvoll einen Paso doble schmettert. Der Reisende, der sich vor vierzig Jahren an einem Jungstier festklammern musste, der es auf ihn abgesehen hatte, weiß, was solch zufällige Ruhmesaugenblicke sind. Doch muss er zugeben, dass man sie genauso genießt wie andere.
Am Abend gibt es ein Festival mit Liedern aus dem Alentejo. Es sind sieben oder acht Gruppen von nah und fern. Sie besingen die Arbeit und die Tage, die Liebe und die Landschaft. Zweitausend Menschen hören ihnen bis spät in die Nacht schweigend zu, applaudieren nur am Ende eines jeden Liedes oder wenn eine neue Gruppe auftritt, doch in diesem Fall kaum, denn man weiß ja, dass man schlecht Beifall klatschen kann, wenn die Männer sich langsam zu bewegen beginnen, mit jener Pendelbewegung der Füße, die scheinbar an derselben Stelle wieder auftreten, wo sie vorher standen, und dennoch voranschreiten. Der Tenor singt die ersten Takte, der Countertenor erhebt die Stimme, und gleich darauf strömt der Gesang des Chors, kraftvoll wie die geschlossenen Reihen der nähertretenden Gestalten, in die Nacht und die Herzen. Der Reisende spürt einen Kloß im Hals, niemand dürfte ihn nun zum Singen auffordern. Eher würde er die Hände vor die Augen halten, damit man ihn nicht weinen sieht.
Der Reisende übernachtet in Castro Verde und träumt von einem Chor von flügellosen Engeln, gekleidet wie Tagelöhner, die mit rauen, irdischen Stimmen singen, während der Priester mit dem Schlüssel herbeieilt und die Kirche aufschließt, damit alle Welt die Azulejos mit den Bildern der Schlacht sehen kann. Als er aufwacht, ist es schon spätmorgens, er verabschiedet sich und macht sich auf den Weg.
Ganz allmählich verändert sich die Landschaft. Nach Norden hin die weite Ebene, die der Reisende schon durchquert hat, nach Süden hin hebt und senkt sich die Landschaft in sanften Wellen. Hinter São Marcos da Ataboeira sieht man in der Feme zwei hohe Erhebungen, Alcaria Ruiva, die größere, steigt so unvermittelt auf, dass sie für das an die Ebene gewöhnte Auge künstlich wirkt. Und nun vollzieht sich die Veränderung abrupt, statt bestellter Felder Buschwald, Berge ragen auf, die Täler werden tief und dunkel. Binnen eines halben Dutzend Kilometer, wenn nicht weniger, geht die Ebene ins Gebirge über. Der Reisende war Zeuge, wie die Landschaft sich vor seinen Augen verändert.
Einen so raschen Übergang hat er noch nie erlebt. Deshalb gehört für ihn die Landschaft rings um Mértola bereits zum Algarve, womit er, wohlgemerkt, dem Alentejo kein Land wegnehmen will, um es dem Algarve zu geben. Wenn der Reisende Land wegnehmen wollte, würde er so vorgehen: Er
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