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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition)
Autoren: José Saramago
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sich vorgenommen hatte: die Kirchen Carmo, Santa Maria do Castelo, Misericórdia, São Paulo. Der Reisende kann gar nicht zählen, an wie viele Türen er geklopft, wie viele Passanten er auf der Straße angesprochen hat. Auskunft erhält er reichlich, doch wenn er endlich meint, den sicheren Hafen erreicht zu haben, werden alle seine Hoffnungen enttäuscht: Entweder ist nicht da, wer hätte da sein sollen, oder wer da ist, ist nicht befugt. Also geht er an den Kai, um seinem Ärger Luft zu machen und sich die zorngerötete Stirn von der Brise kühlen zu lassen, die vom Meer her weht, aber nach drei Schritten schon heiß wie aus einem Backofen wird, wobei er sich sagt, dass nun, da die Reise sich dem Ende nähert, nicht der rechte Moment zum Aufgeben ist (wenn der Reisende schon sterben muss, dann aber später), und fährt weiter nach Luz. Hier ist ihm Fortuna gewogen. Die Kirche steht an der Landstraße, plötzlich taucht sie wie durch einen glücklichen Zufall auf, und dieses Adjektiv trifft es genau – da keine Gebäude in der Nähe stehen, kann man ungehindert um sie herumgehen, mit ausreichendem Abstand sie in Ruhe betrachten, hinzu kommt die stilistische Reinheit, wie man sie nicht häufig antrifft, betont durch die geschickte Farbwahl, mit anderen Worten, die Kirche von Luz de Tavira ist wirklich eine glückliche Kirche. Im Innern verstärken noch die geräumigen Schiffe mit hohen Säulen, darüber Gewölbe, der großartige Altaraufsatz in der Hauptkapelle sowie die drei Weihwasserbecken den ersten Eindruck – wer aus Tavira enttäuscht abfährt, begebe sich nach Luz, vielleicht steht die Tür offen. Und sollte sie verschlossen sein, gebe er sich mit dem Anblick von außen zufrieden, er macht die Enttäuschung allemal wett.
    In Olhão besichtigt der Reisende nicht viel (nur die nicht besonders interessante Pfarrkirche, in der es eine herrliche barocke Skulptur des wiederauferstandenen Christus gibt), aber er kauft sich in der Markthalle Weintrauben und macht eine Entdeckung. Die Weintrauben, verzehrt am Fischerhafen, sind nicht gut, doch die Entdeckung wäre, hielte der Reisende sich nicht bescheiden zurück, einfach genial. Sie hat mit der altbekannten Geschichte von dem Maurenkönig zu tun, der eine Prinzessin aus dem Norden geheiratet hatte, welch selbige sich vor Sehnsucht nach ihrer verschneiten Heimat verzehrte, was dem König großen Kummer bereitete, denn er liebte sie sehr. Nun weiß man, wie der schlaue Monarch das Problem löste: Er ließ Tausende und Abertausende von Mandelbäumen pflanzen, und als sie eines Tages alle blühten, gab er Anordnung, sämtliche Fenster des Palastes zu öffnen, in dem die Prinzessin langsam dahinsiechte. Als die arme Prinzessin die Felder voller weißer Blüten sah, redete sie sich ein, es sei Schnee, und wurde gesund. So lautet die Sage von den Mandelbäumen – was dann geschah, als aus den Blüten Mandeln wurden, ist nicht bekannt, und es hat auch niemand danach gefragt.
    Der Reisende stellt nun die folgende Frage: Wenn die auszehrende Krankheit, an der die Prinzessin litt, so schwer war, wie hat sie sich dann so lange am Leben halten können, bis Millionen von Mandelbäumen heranwachsen und blühen? Die Geschichte stimmt also nicht. Der Reisende aber hat die Wahrheit herausgefunden, und hier ist sie: Der Königspalast stand in einer Stadt oder in einem größeren Ort wie diesem, und ringsum gab es Häuser und Mauern, kurzum, alles, was zu einer Stadt gehört, und alles in den Farben gestrichen, die ihren Besitzern am besten gefielen. Weiß gab es nur wenig. Da ließ der König, als ihm seine Prinzessin dahinsiechte, einen Erlass veröffentlichen, der besagte, dass sämtliche Häuser weiß zu streichen seien, und zwar von allen gleichzeitig und über Nacht. Und so geschah es. Als die Prinzessin ans Fenster trat, sah sie, dass die ganze Stadt weiß war, und nun, da ja die Blüten nicht verwelkten und abfielen, konnte sie gesund werden. Doch das ist noch nicht alles. Im Alentejo gibt es keine Mandelbäume, aber die Häuser sind auch weiß. Warum? Ganz einfach: weil der Maurenkönig auch dort herrschte und der Erlass für alle galt. Der Reisende isst seine Weintrauben auf, überdenkt seine Entdeckung noch einmal, findet sie schlüssig und wirft die Sage von den Mandelbäumen auf den Müll.
    In Estói besucht der Reisende das ehemalige Schloss der Grafen von Carvalhal und die Ruinen von Milreu. Als er schon glaubt, er müsse Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um auf
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