Die Portugiesische Reise (German Edition)
Blick hebt, um festzustellen, wo er sich befindet: Rua das Manhãs. Oh, du großartiges und auch dankbares Alvito, das an einer Gebäudeecke allen Morgen der Welt und der Menschen die Ehre erweist, pass gut auf dich auf, dass sich auf dich keine andere Nacht als die natürliche senkt! Der Reisende kann sich vor Freude kaum halten. Und da eine Überraschung niemals allein kommt, widerfährt ihm nicht nur der lustige Irrtum, eine Finanzbehörde für eine Kapelle zu halten, sondern er findet auch die Pfarrkirche so weit geöffnet vor wie noch keine andere, durch drei breite Türen flutet das Licht hinein und zeigt, dass es in der Religion letztlich überhaupt nichts Geheimnisvolles gibt oder, falls doch, zumindest nicht das, was man allgemein annimmt. Hier begegnen dem Reisenden wieder achteckige Pfeiler wie in Viana do Alentejo, in dieser Gegend häufig anzutreffen, und außerdem an den Wänden schöne Azulejos aus dem 17. Jahrhundert mit Szenen aus der Bibel.
Dieselbe Straße führt über Vila Ruiva und Vila Alva nach Vila de Frades, wo Fialho de Almeida geboren wurde. Doch das eigentliche Juwel des Ortes ist die römische Siedlung bei São Cucufate, wenige Kilometer weiter inmitten von Olivenbäumen und Buschwerk. Ein winziges Schild am Straßenrand verweist auf einen Erdweg, dort muss es sein. Die Stelle liegt so versteckt, die Luft ist so mild, dass der Reisende das Gefühl hat, eine unbekannte Welt zu entdecken. Schon bald ist er da. Die Ruinen sind enorm groß, sie ziehen sich seitlich über eine lange Front hin, und die gesamte Anlage mit mehreren Stockwerken und kräftigen Ziegelbögen lässt darauf schließen, wie bedeutend diese Siedlung einmal gewesen ist. Es finden Ausgrabungen statt, offenbar mit wissenschaftlicher Sorgfalt. Auf einem freigelegten Gelände, vermutlich früher ein Friedhof, hat man große rechteckige Gruben ausgehoben, in denen tief unten, noch halb von Erde bedeckt, Skelette stecken. Im Mittelalter gehörten die Ruinen zu dem Kloster São Cucufate, die Knochen werden wohl von den Mönchen stammen, doch gewiss nicht jene dort, so klein, dass sie nur von einem Kind sein können. Und wenn die Breite eines Beckenknochens etwas aussagt, dann muss dieses Skelett hier von einer Frau sein.
Im Allgemeinen wirken Ruinen melancholisch. Doch aus irgendeinem Grund – vielleicht, weil man sieht, dass hier lebendige Menschen arbeiten – empfindet der Reisende diese Stätte trotz der sterblichen Überreste als angenehm. Es ist, als hätte sich die Zeit komprimiert – vorgestern noch waren die Römer hier, gestern die Mönche von São Cucufate, und heute ist der Reisende hier, um ein Haar wären sie sich alle begegnet.
Neben den Ruinen steht eine Kirche, zweifellos von den Mönchen gebaut. Nun dient sie als Abstellraum für die Ausgrabungswerkzeuge, doch die Decke des kleinen Mittelschiffs ist mit Fresken bemalt, die zum Teil noch gut erhalten sind und aufgrund des archaisierenden Stils oder aber der mangelnden Fähigkeit des Malers wesentlich älter wirken als aus dem 17. oder 18. Jahrhundert stammend, wie man annimmt. Der Reisende ist kein Fachmann, dennoch erlaubt er sich, diese Datierung anzuzweifeln, er stellt sich lieber einen mittelalterlichen Mönch vor, der fleißig diese Sixtinische Kapelle eines armen Ordens in einem noch ärmeren Land bepinselt. Die Engel blicken mit großen Augen auf den Reisenden, sie lassen eine Frage ahnen, die nicht laut ausgesprochen wird: »Wie steht es da draußen nach all diesen Jahrhunderten?«
Draußen bricht die Dämmerung an. Auf den großen Felsen, die sich über den Hang beugen, befindet sich der Abdruck eines Hufeisens. Er soll vom Pferd des heiligen Jakob stammen, das Anlauf nahm, um über die Schlucht zu springen. Der Reisende sieht keinen Anlass, daran zu zweifeln. Wenn in Serpa ein Wolf einen Satz gemacht hat, warum sollte dann in São Cucufate nicht ein Pferd gesprungen sein?
Die Italiener in Mértola
Als der Reisende zum zweiten Mal aus Beja herausfährt, führt er als Wegzehrung nicht das entzückte Schmunzeln mit, zu dem die Geburt von Johannes dem Täufer ihn veranlasst hat. Doch beim Besuch einer weiteren römischen Siedlung in Pisões erfrischen ihn die geometrischen Mosaiken, die insgesamt lockere Anordnung der noch vorhandenen Gebäudereste. Kein schlechtes Rüstzeug für einen, der sich abermals in solche Hitze hinausbegibt. Das neue Lächeln jedoch schwindet nach wenigen Kilometern, schon ist es fort, zerronnen wie eine Schneeflocke.
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