Die Portugiesische Reise (German Edition)
erwartet verschlossen.
Es ist bereits Abend, der Reisende will in Póvoa de Varzim übernachten, es wird Zeit. Aber als er gerade aufbrechen will, entdeckt er eine angelehnte Tür, ein Gartentor, Vegetation, die hinter der Mauer aufragt. Es herrscht vollkommene Stille. Keine Menschenseele ist zu sehen. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder ist hier das Ende der Welt oder der Anfang. Ein wahrer Reisender ist immer neugierig. Die angelehnte Tür, die Stille, die Einsamkeit, wenn er das nicht ausnutzen würde, wäre er ein Narr oder es nicht wert, ein Reisender zu sein. Vorsichtig drückt er die Tür auf und späht hinein. Die Mauer ist gar keine Mauer, sondern ein schmaler Gebäudeteil über der Wölbung des Eingangsbereichs. Der Reisende spürt sein Herz schlagen, er weiß, er ist der Erste, der ein Gespür für so etwas hat, und als träumte er plötzlich, ist er auch schon drin, auf einem breiten Weg, der zwei Gärten trennt, einer zu seiner Linken, vor dem großen Gebäude, das ein ehemaliges Kloster sein muss, und der andere zu seiner Rechten, in schmalen Alleen angelegt, flankiert von frischgestutzten Buchsbäumen. Der andere Garten ist höher gelegen, er hat mehrere Balustraden und einige Bäume von mittlerer Größe, während der untere aussieht, als hätten Zwerge ihn angelegt, damit die Feen in ihm spazieren gehen können. Durch ihn wandert der Reisende, trunken vom Duft, den die feuchten Pflanzen verströmen, vielleicht sind es die gestutzten Buchsbäume oder die Narden, wenn sie denn zu dieser Jahreszeit blühen würden, oder Hyazinthen oder versteckte Veilchen. Der Reisende spürt ein Zittern, es schnürt ihm die Kehle zu, er wünschte, es käme jemand, aber niemand kommt, nicht einmal ein Hund bellt. Er geht ein paar Schritte weiter durch die Hauptallee, er muss sich beeilen, denn es wird schon dunkel. Er kommt zu einer weiten, dicht mit Bäumen bepflanzten Fläche, niedrige Bäume mit breiter Krone, die ein Dach bilden, das er fast mit der Hand berühren kann. Der Boden ist mit Laub bedeckt, eine dichte Schicht, die unter seinen Füßen knistert. An dieser anderen Seite des Klosters ist Licht zu sehen: ein einziges erleuchtetes Fenster. Dem Reisenden ist unheimlich zumute, er hat keine Angst, aber er zittert, er muss beinahe weinen. Er geht weiter, unter einem Mauerbogen hindurch, und im letzten Licht des Tages erkennt er einen Garten mit Obstbäumen, am Ende ein Aquädukt, wildes Gestrüpp, Rosenstöcke, mit Steinen gepflasterte Wege und Beete. Dort wandert er umher, entdeckt ein leeres Wasserbecken, und da ist wieder das erleuchtete Fenster, das kann nur das Zimmer von Dornröschen sein, der einzigen Bewohnerin dieses mysteriösen Ortes. Es vergeht eine Minute, vielleicht auch eine Stunde, er weiß es nicht, ein letzter Rest Tageslicht ist immer noch da, als wagte es der Abend noch nicht zu kommen, es ist noch genügend Zeit zurückzukehren, unter den Bäumen hindurch über den Teppich aus welkem Laub, der unter den Füßen knirscht, durch den kleinen Garten, den Geruch der Erde. Der Reisende geht hinaus. Hinter sich schließt er das Tor wie vor einem Geheimnis.
Hirnschäden und andere Wunder
Von Póvoa de Varzim ist dem Reisenden nicht viel mehr in Erinnerung geblieben als ein allgemeines Verkehrschaos, ein ewiges Suchen nach Straßen, die bauklotzartigen Häuserblöcke am Strand und ein wahnwitziges Haus, verkleidet mit Azulejos und anderer Keramik in allen Farben und Formen des Universums. Und als er nach A-Ver-o-Mar kommt, welch lieblicher Name, »Das-Meersehen «, und welch ein hübscher Anblick, liegt die Schuld bei ihm, denn der Zeitpunkt ist schlecht gewählt, der Strand ist übersät mit Millionen von Fliegen, Fischresten, Gedärmen, gallertartigen Fäden und Exkrementen. Pittoresk anzusehen sind die cubatas , Tanghütten, deren Strohdächer von Steinen gehalten werden wie von einer Kette aus dicken, unregelmäßig großen Perlen, aber hat man die einmal gesehen, dann war es das. Der Reisende fährt weiter, selbstkritisch genug, den Grund für seine Unzufriedenheit in Junqueira zu suchen, in dieser unwiederbringlichen Stunde eines späten Nachmittags im November. Aber da er schon einiges von der Welt und vom Leben gesehen hat, weiß er auch, dass zu dieser morgendlichen Stunde, in der er sich auf dem Weg nach Aguçadoura befindet, um die campos-masseiras zu besuchen, der Garten Dornröschens ein ganz anderes Licht und einen anderen Geruch hat, dass wahrscheinlich irgendjemand das Laub
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