Die Portugiesische Reise (German Edition)
denkt sich der Reisende und ist stolz, gleich eine Erklärung gefunden zu haben.
Es sind nur zwei Geräusche zu hören: die Stiefel des Reisenden, die über die Steine schaben, und das Wasser, das überall die Hänge hinunterfließt. Die Sonne versteckt sich hinter dem Berg, aber die Luft ist vollkommen klar, man atmet eine Frische ein, die sowohl vom Boden aufsteigt als auch vom Himmel kommt, wie zwei Flächen, die einander stützen. Der Reisende ist glücklich. Es ist ihm egal, ob er die Kirche findet oder nicht, er will nur, dass dieser Weg nie endet.
Hier stehen jetzt schon keine Häuser und keine Reben mehr, nur noch Steine, fließendes Wasser und Farngewächse, der Weg geht ein wenig bergab und gleich darauf wieder bergauf, immer am Hang entlang. Dann, auf einem aufgeschütteten Areal, das auf einen ummauerten Kirchhof führt, steht etwas tiefer gelegen die Kirche. Man sieht Überbleibsel von ausgeblichenen Papiergirlanden, ein paar Meter weiter wird ein Haus gebaut, noch ein Stück weiter gibt es einen Wasserfall, einen Strahl, der ins Freie schießt. Als der Reisende der Baustelle den Rücken zukehrt, ist er allein. Die alte Kirche von Balugães aus dem 12. Jahrhundert ist zwar restauriert, aber immer noch wunderschön, klein und halb in der Erde versunken. Die Tür ist verschlossen, aber der Reisende macht keinen Versuch, den Verwalter des Schlüssels ausfindig zu machen. Er begnügt sich damit, einfach nur dazustehen, die alten Steine zu betrachten und die Inschrift zu entziffern, die mit schwarzer Farbe aufgefrischt über dem Torbogen zu lesen ist. Es ist Latein, und der Reisende versteht gerade mal Portugiesisch. Der Tag nähert sich dem Ende, die Luft wird frischer, er wünscht sich, die Zeit bliebe stehen.
Die Zeit bleibt nicht stehen. Der Reisende geht denselben Weg zurück und versucht alles im Gedächtnis zu behalten, die großen Pflastersteine, das Geräusch des Wassers, die Weinreben, den Grünspan auf den Kreuzen, in Gedanken sagt er sich, dass es ein Glücklichsein gibt, und es ist nicht das erste Mal auf dieser Reise, dass er diese Entdeckung macht. An der Kreuzung verabschiedet er sich von dem Mann, der die Antworten gibt, fährt weiter in Richtung Viana do Castelo und gleich darauf die große Auffahrt hinauf zur Kapelle der Offenbarung, die, wie sollte es anders sein, eine Geschichte zu erzählen hat. Es ist die Geschichte vom Seher João dem Stummen, einem Hirten, dem sich 1702, als er zwanzig Jahre alt war, die Heilige Jungfrau offenbarte. Den Worten Bruder Agostinho de Santa Marias zufolge war dieser Hirte ein Zurückgebliebener, der weder das Vaterunser kannte noch wusste, wie man sich bekreuzigt. Der Abt Custódio Ferreira betrachtete ihn als einen Schwachsinnigen, da er weder ordentlich sprechen konnte noch verstand, was man sagte. Von all diesen Krankheiten heilte ihn seine Vision. João der Stumme war offensichtlich zu Höherem erkoren. Der Vater, ein Steinmetz, glaubte nicht daran, dass seinem einfältigen Sohn die Muttergottes erschienen war, und um ihn zu überzeugen, trat ein weiteres Wunder ein, João der Stumme fiel von der Brücke von Barcelos, wo sein Vater arbeitete, und obwohl der Junge einen Krug auf den Schultern trug, wurde kein einziger Tropfen Wasser vergossen, noch brach er sich ein Bein.
Diese Wunder vernahm der Reisende aus dem Munde des Paters, den er in der von Spenden der Anhänger der Heiligen Jungfrau der Offenbarung errichteten Kapelle traf. Davor hatte er sich das Grab von João dem Stummen angesehen, der, falls dort sein ganzer Körper liegen sollte, von ziemlich kleiner Statur gewesen sein muss. In der Kapelle stehen ein paar riesige Altarkerzen. Wenn die Wundertaten, für die sie aufgestellt wurden, genauso groß waren, dann hatten ihre Spender Glück gehabt. Der Reisende will etwas über die Pfarrkirche wissen, und der Pater informiert ihn, dass die Inschrift über der Tür, die übrigens unvollständig ist, über deren Weihung Auskunft gibt. Geweiht wurde sie angeblich von drei Bischöfen, die auf der römischen Straße, von der noch Überreste vorhanden sind (war das der Weg, den der Reisende gegangen war?), auf dem Weg zu einem Konzil in Lugo waren. Das war die Zeit, dachte der Reisende, in der man drei Bischöfe für eine so kleine Kirche brauchte. Es war die Zeit, denkt der Reisende weiter, in der auch nur der kleinste geweihte Stein mehr Bedeutung hatte als die Person, die ihn weihte. Der Pater zeigt ihm ein Tafelbild hinter dem Altar, verborgen
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