Die Portugiesische Reise (German Edition)
diejenigen, die später darauf saßen, davon aßen und darin schliefen. Es wird wohl Ausnahmen gegeben haben, aber bestimmt waren das nicht die wohlhabenden, korpulenten Geschäftsmänner und Industriellen aus dem Norden, die sich hier mit ihren geliebten Gattinnen zur Kur niederließen und deren wirkliche Geliebten einen Tag vorher oder nachher ankamen und sich in geheimen Unterkünften versteckt hielten. Heute haben sich die Sitten geändert, die Geliebten haben keine Lust mehr, ihre Gönner zur Behandlung ihrer Leberkrankheiten zu begleiten, aber der Reisende bedauert, dass diese Zeiten und ihre Sitten nicht weiter erforscht wurden, um einen besseren Einblick in das Gefühlsleben der Reichen zu erhalten. Doch er beschließt, sich nicht länger Gedanken um die Bettgeschichten dieser Menschen zu machen, während er unter hohen Bäumen über das feuchte, grüne Moos läuft und das Wasser zwischen den Steinen fließen hört und sieht. Im Park ist niemand zu sehen, nur weit hinten in der Ferne ein Gärtner, der das Laub zusammenfegt, und der Reisende denkt, wie gut, dass die Natur sich immer für einige Tage von den Menschen zurückziehen und sie selbst sein kann, ohne dass jemand auftaucht, der Herzen in die Bäume schnitzt, Gänseblümchen pflückt oder Efeu ausgräbt. Der Reisende lässt alles an seinem angestammten Platz und kümmert sich um sein eigenes Leben, damit hat er schon genug zu tun.
Er fährt wieder die Berge hinauf, von oben sieht er den Stausee und verabschiedet sich, wie ist es bloß möglich, dass ein so großes Gewässer in ein menschliches Auge passt, und auf dem Rückweg kommt er durch Vieira do Minho, das einen viel schöneren Namen besaß, als es noch Vernaria hieß, ein Wort des Frühlings, von Blättern und Blüten, die sich öffnen, manche Menschen verdienen das Glück nicht, das sie haben. Linker Hand liegt der Staudamm von Guilhofrei, dem er keinen Besuch abstattet. Sein nächstes Ziel ist Fonte Arcada, wo eine der ältesten romanischen Kirchen Portugals steht, den Aufzeichnungen nach wurde sie im Jahre 1067 erbaut. Ungewöhnlicherweise ist das Lamm auf dem Tympanon ein ausgewachsenes Tier mit solidem Gehörn. Der Reisende meint zu verstehen: Die Reinheit ist vergleichbar mit der Kraft, und diesem Hammel sieht man an, dass er nicht zum Opferstein geht, ohne sich zu wehren. Die romanischen Zeiten waren hart, der Instinkt spielte eine große Rolle, die Bedeutung von Sonne und Mond, wie man auf der Seitentür sieht, und die Konventionen einer Sakristei wurden problemlos übertreten: Das Lamm Gottes ist ein Hammel, und als Jesus die Wechsler aus dem Tempel vertrieb, wetzte der Hammel die Hörner, während Jesus die Peitsche schwang.
Der Reisende ist sich nicht ganz sicher, was die Orthodoxie seiner Erwägungen betrifft, aber als er Póvoa de Lanhoso verlässt, tröstet ihn die ebenfalls alles andere als orthodoxe Bauweise jenes Hauses, das um den riesigen Felsblock herumgebaut ist, der die Straße nötigt, ihren Verlauf zu ändern. Wer hier wohnt, für den ist der Fels ein Freund. Es muss ein gutes Gefühl sein, nachts aufzuwachen, an den Fels zu denken, zu wissen, dass er da ist und auf Haus und Hof aufpasst wie ein Wächter, der Moos und Flechten ansetzt, so wie andere Falten und graues Haar bekommen.
Ganz oben befindet sich die Burg von Póvoa de Lanhoso. Wie so viele andere steht sie auf der Spitze eines Berges. Der Reisende fährt hinauf, Kurve um Kurve, aber irgendwann bemerkt er, dass, obwohl es nicht an Vegetation und großen Bäumen mangelt, der Untergrund kahler Stein ist, und diese erstaunliche Entdeckung weicht vollkommener Verblüffung, als er oben anhält und sieht, dass der Fels wie eine riesige, schräggeneigte Platte aussieht, ganz kahl, hier und da ein paar Risse und Unebenheiten, und da erkennt er, dass dieser Fels aus den Tiefen der Erde kommt, den fruchtbaren Humus des Tales durchbrochen hat und direkt in den Himmel wächst, so weit, wie es ihn treibt. Das hier ist unser Mount Everest, denkt der Reisende: Wenn wir so weit graben könnten, bis wir die Wurzel des Felsens gefunden hätten, auf dem die Burg von Póvoa de Lanhoso steht, dann kämen all die Alpinisten und anderen Bergsteiger her, um den Ruhm zu erlangen, der sonst dem Himalaja vorbehalten ist. Wir sind ein armes und bescheidenes Land, so ist es nun mal.
Wir sind dieses und wir sind jenes, und wir sind ausgezeichnete Zerstörer dessen, was wir haben. Hier zum Beispiel diese offene Kapelle, ohne Türen und
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