Die Portugiesische Reise (German Edition)
Fenster, eine Illustration der Bibelstelle, wo die barmherzige Samariterin am Jakobsbrunnen Jesus’ Durst stillte. Der Brunnen ist tatsächlich ein Brunnen, auf dem Grund steht grünliches, verschmutztes Wasser, und die Bilder befinden sich in einem erbärmlichen Zustand, der rechte Arm der Frau fehlt, genau wie die eine Hälfte des Kruges, und auf ihren Kleidern sowie auf Christi Tunika stehen die Namen von einem Haufen Trotteln, die fürchten, die Menschheit könnte vergessen, dass sie einmal an diesem Ort gewesen sind. Der Reisende weiß von keiner vergleichbaren Kapelle in Portugal, und diese hier ist ja auch schon ziemlich zerstört. Die Azulejos sind von konventioneller Machart, im Hintergrund das ewige Jerusalem, nichts würde besser hierherpassen. Wie lange werden Jesus und die fromme Samariterin einander noch über der Brüstung des Brunnens in die Augen schauen?
Der Reisende hat keine gute Laune, als er geht. Er kennt sich jedoch gut genug, um zu ahnen, dass sein Unbehagen daher rührt, zwei gegensätzliche Anliegen nicht miteinander vereinbaren zu können: überall bleiben wollen und überall ankommen wollen. Er nimmt die Straße nach Briteiros, an dem er das letzte Mal aus Versehen vorbeigefahren ist, und freut sich so sehr darauf, wie er sich freuen würde, jetzt in Caniçada das Spiegeln der Berge im Wasser zu sehen, im Wald von Gerês mit den Stiefeln den feuchten Farn zu streifen, in Fonte Arcada über Sonne und Mond zu sinnieren, in der Kapelle mit dem Jakobsbrunnen auf jemanden zu warten, der seinen Durst stillt, oder auch nur in dem Haus am Fels die Zeit verstreichen zu lassen: Wem es so ergeht, der ist ein guter Kandidat für die Melancholie.
Da ist die römische Siedlung. Eine richtige Stadt ist das. Häuser gibt es zwar keine, außer denen, die weiter oben später wiederaufgebaut wurden, anscheinend recht ungenau, aber die Straßen sind alle noch da, jedenfalls könnte man das meinen. Wenn der Reisende ausreichend Phantasie besitzt, kümmert er sich weniger darum, wo er hintritt, als dass er versucht, sich in die Zeit hineinzuversetzen, in der diese Gassen noch von anderen Menschen bevölkert waren, die einander bestimmt einen schönen Tag wünschten (in welcher Sprache?), bevor sie der Arbeit auf den Feldern oder anderen einfachen Tätigkeiten nachgingen und die Gedanken schweifen ließen. Die Straße ist schmal, zu schmal für zwei nebeneinander, deswegen muss der Reisende dem alten Mann ausweichen, der über das Pflaster stolpert, oder der Frau, die einen Krug voll Wasser bei sich trägt und fragt: »Haben Sie Durst, Herr Reisender?«
Der Reisende wacht aus seinem Tagtraum auf, sieht, dass er sich auf einem Ruinenfeld befindet, bittet einen Aufseher um Wasser, das knapp ist und von weit her kommt, und lässt den Blick über das wellenförmige Panorama der Berge schweifen, wie es von diesem selben Ort aus die Bewohner des alten Briteiros, wenn es damals schon so hieß, getan haben müssen, und bestimmt wären sie sehr überrascht gewesen, hätten wir ihnen erzählt, dass sie in der Eisenzeit lebten.
Heute wird der Reisende nach Porto kommen. Zu Mittag essen wird er irgendwo in einem kleinen Dorf, fernab von den lärmenden Ballungszentren. Er wird die Hauptstraßen meiden und lieber über die schmalen Wege bummeln, die die Menschen und ihre Nachbarn miteinander verbinden, von Norden bis Süden ungewöhnliche Namen auflesen, und immer wenn ihm einer am Straßenrand begegnet, ihn leise vor sich hersagen, seinen Klang kosten, versuchen, seine Bedeutung zu erahnen, und es fast immer aufgeben oder schon einen neuen sehen, bevor der alte entschlüsselt ist. Er fährt durch Sande, Brito, Renfe, Pedome, Delães, Rebordões, und als er nach Roriz kommt, beschließt er, haltzumachen, Wasser aus der Quelle zu trinken und jemanden zu bitten, die Kirche des alten Klosters aufzuschließen, und während er wartet, wirft er einen Blick durch die Gitterstäbe auf die Ruinen des Kreuzgangs. Weiter unten, von hier aus nicht zu sehen, fließt der Rio Vizela. Hier sind Zeichen in den alten Stein gehauen. Irgendetwas müssen sie bedeuten, aber der Reisende weiß nicht, was. Es gibt so viel zu lernen, und der Reisende hat kaum noch Zeit.
Was haben zum Beispiel diese Ochsen auf der Kirchentür zu suchen, mit ihren weichen Wammen, wie sie jeden fixieren, der vorbeigeht, den Reisenden oder die Gläubigen, die hierherpilgern? Welche Art von Anbetung erwarten sie? Wollen sie die Menschen vielleicht daran erinnern,
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