Die Portugiesische Reise (German Edition)
er selbst die feinen, minuziös gearbeiteten Skulpturen aus der Spätgotik und der manuelinischen Epoche übertrifft. Ein anderer Reisender wäre vielleicht anderer Meinung. Diesen jedoch berührt viel mehr die Rohheit eines Meißels, der erst mit sich selbst kämpfen muss, bevor er den Widerstand des Steines bricht. Und es ist gut zu sehen, dass der Stein in diesem Kampf nicht gänzlich unterliegt. Sehr viel ungeschliffener, obwohl drei Jahrhunderte jünger, ist der heilige Petrus: das Werk eines inspirierten Steinmetzen, der einen Heiligen schaffen wollte und stattdessen einen wunderschönen Steinbrocken schuf.
Der Reisende gibt den Schlüssel ab und bedankt sich. Er wirft einen letzten Blick hinein und bedauert es sehr, gehen zu müssen, findet aber, dass wenigstens hier gewisse Dinge ihrer ursprünglichen Tradition entsprechen: Für den Gründer eines Klosters konnte es keinen besseren Namen geben als den jenes Abtes Dom Troicosendo Galendiz, der eines Jahres im 10. Jahrhundert hierhergekommen war, um nach dem richtigen Ort für das Ausheben der Baugrube zu suchen. Wieder auf der Straße, sagt der Reisende vor sich hin, als knabberte er an einer Nuss: »Dom Troicosendo Galendiz. Dom Troicosendo Galendiz.«
Porto naht. Es ist kurz nach sechs, als der Reisende in die Stadt kommt. An den Bushaltestellen warten lange Schlangen von Frauen. Es sind Arbeiterinnen aus den Fabriken der Vorstadt. Und als der Reisende noch einmal den Namen des Abtes, der Paço de Sousa gegründet hat, wiederholen will, kann er sich schon nicht mehr erinnern.
»An einem Fluss namens Doiro«
Der Reisende steht am Largo da Sé und sieht sich die Stadt an. Es ist frühmorgens. Von hier aus wollte er entscheiden, wohin er gehen soll. Die Kathedrale ist noch geschlossen, der Bischofspalast scheint unbewohnt. Vom Fluss her kommt eine kalte Brise. Der Reisende bemisst Entfernungen, die zur Verfügung stehende Zeit, beschreibt in Gedanken einen Kreis, dessen Zentrum dieser Platz ist, und denkt sich, damit ist festgelegt, wie viel er von Porto sehen will. Normalerweise legt er sich in dieser Hinsicht keinerlei Beschränkungen auf, und auch diese hier wird er wahrscheinlich bald durchbrechen. Im Grunde akzeptiert er die Prinzipien, nach denen er alles Alte und Pittoreske achtet und das Moderne und Banale missachtet. Auf diese Weise Städte und andere Orte zu bereisen ist eine so konservative Disziplin, wie Museen zu besuchen: erst durch jenen Korridor, einmal durch den Saal, dann vor dieser Vitrine oder jenem Gemälde stehen bleiben, so lange, wie es eventuellen Beobachtern lang und, dem kulturellen Hintergrund des Reisenden entsprechend, beweiskräftig genug erscheinen mag, und dann weiter, Korridor, Saal, Vitrine, Vitrine, Saal, Korridor. In den Vierteln jüngeren Datums lohnt es sich nicht, großartige Fragen zu stellen, und in den sozial schwachen Gebieten ist es weder angenehm noch angebracht, nach Antworten zu suchen. Damit hat der Reisende eine hübsche Rechtfertigung, sich nur für das Schöne und Großartige zu interessieren. So soll es sein, aber unter dem Vorbehalt, nicht zu vergessen, dass auf der Welt auch Hässlichkeit und Elend existieren.
Mit diesen Gedanken im Kopf beschließt er, seinen Rundgang mit den Escadas das Verdades zu beginnen, die hinter dem Bischofspalast in halsbrecherischem Gefälle hinunter zum Fluss führen. Die Stufen sind hoch, man kommt schlecht hinunter und noch schlechter wieder herauf. Welche Motive zu diesem Namen »Treppe der Wahrheiten« geführt haben, ist dem Reisenden nicht bekannt, der er sich doch so sehr für Namen und ihren Ursprung interessiert und sich gerade gestern noch auf dem Weg von Paço de Sousa an den Silben von Dom Troicosendo Galendiz erfreut hat. Hier sind Menschen hinauf- und hinuntergelaufen seit den Zeiten des Grafen Vímara Peres. Der Fluss fließt immer noch in seinem alten Bett, eingeklemmt zwischen den Felsen von Porto auf der einen Seite und denen von Gaia auf der anderen, und der Reisende stellt fest, dass auch diese Stufen zwischen Felsen gezwängt wurden, so wie die Häuser allmählich die Felsen zurückgedrängt beziehungsweise sich zwischen ihnen eingerichtet haben. Neben dem Reisenden rinnt schmutziges Wasser den Berg hinunter, und jetzt, da der Tag beginnt, kommen die Frauen, um ihre Wäsche in den Wassertrögen zu waschen, die vor den Hauseingängen stehen, und die Kinder toben um die Wette. Die Wäschestücke hängen wie Banner von den Häusern, und dem Reisenden kommt
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